Das Ego im Feuer (4)

Vielleicht habe ich doch zwei Koepfe, in einem denkt und spricht es, der andere handelt? Schmerzhaft, wie in der Kindheit, ist dieses Gefuehl aber nicht. Damals war es schlimm: der Kopf an einem Faden ueber mir, die inneren Stimmen weit weg, nur ihr Echo in meinen Ohren. Seitdem zweifle ich, dass es so etwas wie ein Ich gibt; als Disziplinareinheit sicher, aber sonst?
Choper, ob Choper ein sprechender Name ist? Hop hop. 150 km gefahren. Das naechste Dorf liegt zwischen Kreidefelsen. Es ist kein Geschaeft zu sehen, und ich brauche Wasser. Ein Mann sitzt im Schatten vor seinem blauen Haus und einem blauen Zaun. Er raucht, ich frage nach Wasser. „Langsam, langsam“, sagt er. Er legt mir gleich die Hand auf den Arm, was in Berlin als schwule Geste gelten wuerde, hier aber zur Kultur gehoert. Wenn er meine Raspelzunge haette, wuerde er meine Ungeduld vielleicht verstehen.
„Nun ja, ich komme aus Berlin, jetzt aus Saratov. Haben Sie Wasser?“
„Langsam, langsam“, sagt er. „Hier leben viele Nationalitaeten, Franzosen und Deutsche.“
Jetzt merke ich, dass er stottert. Ausserdem will er die Katzte streicheln, die den Schweiss an meinen Knoecheln beschnuppert. Schliesslich erhebt er sich, schlurft zur Pumpe, die hinter Bueschen steht, und die ich bisher nicht gesehen habe.
Das Wasser ist etwas zu kalt, aber es schmeckt; er reicht es in die Plastikflasche. Ich kippe mir etwas davon in den Nacken und ueber den Kopf. Nun soll er erzaehlen, wer hier alles lebt, meinetwegen.
Da kommt ein anderer Mann auf dem Fahrrad, fragt nach Feuer; er setzt sich zu uns auf die Bank, reicht mir ebenfalls eine Flasche, ebenfalls Wasser, denke ich, aber es ist Sammogon, braeunlicher Selbstgebrannter, den ich gleich ausspucke. Der Mann lacht, ist mir aber nicht boese, es war nur ein Scherz. Er laedt mich ein, bei ihm im Hause zu duschen, mich zu erholen, eine Suppe zu essen, aber ich will nicht; ein Stueckchen will ich noch fahren, es ist erst fuenf Uhr nachmittags.
Sein Fahrrad haelt der Rost zusammen, er will gleich morgen nach Berlin aufbrechen und, womoeglich fuer immer und alle Zeiten, mein Bruder sein. Ich habe schon zu viele Brueder, einen weiteren brauche ich nicht. Er raucht noch ein Zigarettchen, hinterlaesst eine Sandwolke und radelt von dannen.
Der erste Freund schenkt mir die Flasche mit Wasser, Poka, und Tschuess.
Um ehrlich zu sein: die beiden waren nicht ganz mein Niveau. Einen Selbstwitz muss der Gegenueber schon haben, wenn ich mich auf ihn einlassen soll. Ausserdem schwirrt mir HEPHAISTOS durch den Kopf; ich habe die Pause genutzt, zwei Saetze zu notieren.
Ich sage fuer mich, er sei ein deutscher Lehrer, aber deutsch ist er nur deshalb, weil er in dieser Sprache spricht. Er ist der Gott, der den universellen Blick auf die Kuenste hat; so dass die Perspektive es mir ermoeglicht, alles Zufaellige und alles Notwenige aufzunehmen. Er ist der objektivierte Spucker, der das Hohngelaechter auf das Dasein anstimmt.
Zwei Naechte habe ich nun schon von diesem Stoff getraeumt …

Themen: Tour de Wolga

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