Erste Eindrücke aus der Ukraine

Die wichtigste Nachricht zuerst: Mein Freund Nikolai lebt! Seit Wochen hatte er auf meine Anrufe und Emails nicht geantwortet. Ich fürchtete schon das Schlimmste, denn er war auf dem Majdan einer der Organisatoren der Verteidigung.
Gestern rief er mich an. Eine Granate hatte ihm die Füße zerfetzt, er lag bis vor Kurzem im Krankenhaus. Ob er wieder laufen kann, ob es bleibende Schäden geben wird, darüber wollte er am Telefon nicht sprechen.

Ich war gestern in Kiew auf dem Majdan und radle weiter gen Osten. Das Auswärtige Amt empfiehlt zwar allen Deutschen, die Region zu verlassen, aber meine Informationen besagen, dass bis 50 km vor Slowjansk „alles ruhig“ sei. Dort leben Freunde, die ich schon seit einigen Jahren kenne. Einer arbeitet als Offizier bei der Polizei, er kann die Lage sicher besser einschätzen als die besorgten MitarbeiterInnen des AA.

Ohne die Fernsehnachrichten und die Straßensperren vor allen großen Städten würde man kaum vermuten, in einer Krisen-Region zu sein. Der Alltag läuft normal weiter, abgesehen natürlich von den vielen Gesprächen über Adolfowitsch Putler. Bisher haben ihn alle Ukrainer, mit denen ich redete, wahlweise als verrückt, krank und schizophren bezeichnet, als Verbrecher, als neuen Hitler.

Hier die Warnung der Deutschen Botschaft im Original. Ein nützlicher Service. Natürlich werde ich Demos und Krawall meiden.

„Ausreisempfehlung für die südlichen und östlichen Landesteile der Ukraine
Liebe Landsleute, in Anbetracht der jüngsten Entwicklungen in der Ukraine, die Sie sicherlich über die Medien verfolgt haben, möchten die Botschaft Kiew
und das Generalkonsulat Donezk Sie auf die aktualisierten Reise- und
Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts hinweisen.
Von Reisen in die südlichen und östlichen Landesteile wird dringend abgeraten. Deutschen Staatsangehörigen, die sich in diesen Landesteilen aufhalten, wird die Ausreise empfohlen.
Sie sollten jetzt unter Berücksichtigung der aktuellen Situation an Ihrem derzeitigen Aufenthaltsort rasch die für Sie in Frage kommenden sicheren Ausreisemöglichkeiten prüfen. Für evtl. Rückfragen hierzu steht Ihnen die Botschaft Kiew unter Tel.: +38 044 247 68 27 in den Dienstzeiten bzw. Mobil + 38 050 355-82-85 außerhalb der Dienstzeiten und das Generalkonsulat Donezk unter Mobil +38 050 380 9611 jederzeit zur Verfügung.
Verhalten Sie sich weiter umsichtig und meiden Sie Demonstrationen,
Kundgebungsorte, Menschenansammlungen.
Wir empfehlen Ihnen auch weiterhin, sich fortlaufend über die Reise- und
Sicherheitshinweise und die Medienberichterstattung informiert zu halten
Bitte passen Sie gut auf sich auf!
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Christof Weil    Dr. Detlev Wolter
Botschafter             Generalkonsul“

Themen: Russland - Ukraine

9 Kommentare to “Erste Eindrücke aus der Ukraine”

  1. Kai Ehlers schreibt:
    10th.Mai 2014 um 20:55

    Hallo Christoph,
    vielleicht solltest Du auch mal mit Menschen sprechen, die nicht Deiner Meinung sind? Wäre doch mal einen Versuch wert, die Vorgänge im Land von verschiedenen Seiten zu beleuchten.
    Es würde Deine LeserInnen im Übrigensicher auch interessieren, mich auf jeden Fall, wie Du zu den Ereignissen in Odessa stehst. Der Blick auf diese Scheußlichkeiten läßt Dich doch sicher ebenfalls nicht unberührt. Da verbieten sich doch sicher auch für Dich jegliche kleinlichen Rechthabereien. Ich wünsche den Menschen der Ukraine jedenfalls, wie übrigens auch über die Ukraine hinaus, daß der infame Geist dieses Pogroms sich nicht weiter ins Land fressen möge!
    Sei gegrüßt.
    Ich wünsche Dir eine gute weitere Fahrt.
    Kai

  2. Julia schreibt:
    13th.Mai 2014 um 14:16

    Christoph, ich habe dir ueber meine Verwandte in Mariupol erzaehlt, die sich mit meiner Mutter weiter unterhalten. Uebergebe dir den Brief von meiner Tante zu meiner Mutter vom 9. Mai. Hoffe, du kannst alles verstehen. Es ist nicht „alles ruhig“.
    „Здравствуйте!!!!! ВСЕХ С ВЕЛИКОЙ ПОБЕДОЙ!!!!! ВСЕМ МИРА И ЗДОРОВЬЯ!!! У нас война. По всему периметру города стояли БТР и БМП (Schützenpanzer). С утра была демонстрация,возлагали цветы.А потом заехали боевики национальная гвардия и пошли крошить (zerbröckeln) мирное население,есть много раненых и убитые,точное количество неизвестно. То, что говорят по телевизору, это капля в море.Наша милиция ОТКАЗАЛАСЬ участвовать в расправе (Blutbad) над населением, главное управление МВД забарикадировалось, отстреливались,их подожгли,есть жертвы.Вот такой крававый день ПОБЕДЫ. Горел в центре города ПРИВАТБАНК, выстроились очереди, все снимают деньги. В городе паника. Сады и школы закрыты. Вот только сейчас отключили воду, говорят отравили (vergiftet), мои побежали в магазин за водой. Выходим по необходимости за продуктами.“
    Sei vorsichtig. Behuete dich. Und ueberlege dich nochmal, fuer wessen Partei du ergriffen hast. Julia.

  3. Honigdachs schreibt:
    14th.Mai 2014 um 10:06

    @ Hallo, Herr Ehlers, woher wollen Sie wissen, mit wem ich spreche? Was soll die Unterstellung? Ich nutze jede Gelegenheit zum Reden mit allen möglichen Leuten, deren Meinung ich vorher nicht kenne. –
    Wie ich zu den Ereignissen in Odesaa stehe? Muss ich mit erhobenen Händen antworten?
    Ich habe „die Ereignisse in Odessa“ – Sie meinen die 46 Menschen, die im Gewerkschaftshaus verbrannten? – in Polen zum ersten Mal im TV gesehen. Auf Polnisch kommentiert, analysiert. Mir war nicht klar, wer da starb, warum. Polnisch kann ich nicht, manches verstand ich.
    Mein Gott, ich war erschüttert, was sonst? Schrecklich.

  4. Honigdachs schreibt:
    14th.Mai 2014 um 10:15

    Odessa mit Doppel-ss natürlich. –
    Herr Ehlers, in diesem Krieg werden noch viele Menschen sterben, auch viele Unschuldige. Ihre „friedenstiftende Maßnahme“ eskaliert. Neuestes Gerücht, Sie haben es sicherlich gelesen: Blackwater kämpft in der Ost-Ukraine. Lt. BND. –
    In Bezug auf Odessa: Sie sprechen vom „infamen Geist dieses Progroms“.
    Zunächst eine Stilkritik: ein Progrom wäre schlimm genug, dessen Geist wäre nicht nur infam. Also: „der Geist dieses Progroms“. Ich weiß, Sie lieben die Kleinlichkeiten nicht, aber ich schon, denn sie halten auch das Große zusammen.
    Nach meinem Kenntnisstand (lt. ukrain. TV) ist noch nicht geklärt, wie das Feuer im Gewerkschaftshaus entstand. Ich bin da überfordert, über Schuldige zu urteilen, habe nur wenige TV-Sendungen gesehen. Ich bin hier als Radler unterwegs, nicht als Zeuge des Sofas.

  5. Kai Ehlers schreibt:
    17th.Mai 2014 um 00:35

    Hallo Chistoph,
    ich bleibe vorerst noch beim Du.
    Die ukrainische Revolution ist ja noch im Fluß und viele Erkenntnisse – auf allen Seiten – sind noch möglich und sehr wahrscheinlich.

    Nein, Du mußt natürlich nicht mit erhobenen Händen antworten. Aber mit offenen Augen und kritischem Sinne nach den Urhebern eines solchen Pogroms zu fragen, das halte ich für zwingend – gerade wenn man die Menschen eines Landes so liebt, wie Du die Ukraine. Und gerade, wenn man Authenthizität als Markenzeichen beansprucht.
    Die ukrainische Revolution findet ja nicht nur auf dem Maidan statt, sondern im ganzen Land.
    Und was „meine friedensstiftenden Maßnahmen“ betrifft, die bei Dir wie ein Zitat von mir daherkommen, so möchte ich den Menschen, die diese Kommentare mit kritischem Geist lesen, doch mitteilen, daß dies k e i n Zitat von mir ist.
    Ich war und bin lediglich der Ansicht, daß Russlands Reaktion unmittelbar nach dem Umsturz von der Absicht geleitet war, einer Ausweitung des Brandes entgegenzutreten – und von Deeskalation habe ich gesprochen unter der Bedingung, daß der Anerkennung des krimschen Referendumwunsches „keine Represissionen“ folgen. Ich habe das krimsche Referendum im Übrigen als Ermutigung zur Entwicklung von autonomen Strukturen der Selbstverwaltung im Rahmen e i n e r Ukraine beschrieben. – Die Angliederung Russlands kam erst in der Woche danach… und über deren Sinn und Richtigkeit kann man in der tat streiten.- Wer sich nicht mit emotionalisierten Beschimpfungen zufrieden geben will, kann sich auf meiner Website umsehen.
    http://www.kai Ehlers.de

    Im Übrigen werde ich an dieser Stelle keine weiteren Beiträge schreiben. Die hier anstehenden Fragen sind zu wichtig und zu heiß, um sie in alt werdenden Kommentaren zu vergraben.

    Beste Grüße, Kai

  6. Honigdachs schreibt:
    17th.Mai 2014 um 07:39

    @ Herr Ehlers, ich staune immer wieder über Ihre Ferndiagnosen. Ich möchte auch über telepathische Fähigkeiten verfügen! Kann man die erlernen?
    Woher wissen Sie, dass in Odessa ein Progrom stattgefunden habe? Folgt man dieser Beschreibung, ist die Zuordnung nicht so eindeutig: http://www.welt.de/politik/ausland/article127870079/Was-geschah-in-Odessa-Protokoll-einer-Eskalation.html)
    Und „Russlands Reaktion unmittelbar nach dem Umsturz (war) von der Absicht geleitet, einer Ausweitung des Brandes
    entgegenzutreten“? Der Brand ist die Majdan-Revolution?
    Wann waren Sie eigentlich zum letzten Mal in der Ukraine? Vor 20 Jahren?

  7. Jensinski schreibt:
    17th.Mai 2014 um 09:52

    Schade, dass Herr Ehlers hier nicht weiter diskutieren will, hätte da nämlich eine Frage, die ich jedem stelle, der Verständnis für die russ. Politik zeigt. Bisher hat mir niemand von denen (und ich habe viele gefragt!) eine aufschlussreiche Antwort geben können, die auch verständliche Argumente beinhaltet. Die Frage lautet ganz einfach: Welches Recht hat Putin, sich in der Ukraine einzumischen?

  8. Jensinski schreibt:
    17th.Mai 2014 um 09:55

    Nachtrag: Die Frage beinhaltet natürlich auch die Frage nach dem Recht Russlands, die Krim zu annektieren.

  9. Honigdachs schreibt:
    10th.Juli 2014 um 09:35

    Der Vollständigkeit halber ein Nachtrag zum Beitrag von Kai Ehlers vom 17.5. Wörtlich heißt es bei Kai Ehlers: Der Beschluss der Moskauer Duma und des Föderationsrates, Wladimir Putins Antrag zuzustimmen, „russisches Militär auf dem Gebiet der Ukraine, präziser, auf der Krim, einsetzen zu dürfen, (…) setzt im Gegenteil ein Signal der Deeskalation in der aufgeheizten ukrainischen Situation, die sich wie ein Lauffeuer zum Bürgerkriegs zwischen ukrainischen und russischen Nationalisten und dazu noch randständigen ungarischen, rumänischen, bulgarischen und weiteren Minderheiten auszuweiten droht.“
    http://kai-ehlers.de/texte/artikel-zur-lage/2014-03-02-russisch-ukrainische-optionen

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