День Європи в Україні / Europatag

Gestern wurde der Tag Europas in der Ukraine gefeiert – wie schon seit 11 Jahren, auch unter Janukowitsch.* In der EU wird dieses Fest am 9.Mai begangen, als Europatag. Damit es hier nicht mit dem Tag des Sieges zusammenfällt, wird es jeweils auf den 3. Sonntag im Mai verlegt.

In der EU „veranstalten die EU-Institutionen in Brüssel, Luxemburg und Straßburg einen Tag der offenen Tür. In den Vertretungen der EU in der ganzen Welt finden außerdem verschiedenste Aktivitäten und Veranstaltungen für Jung und Alt statt.“ (Das hat wahrscheinlich ein Praktikant formuliert.)

In Poltawa war es gestern vor allem ein Fest für Kinder. Zwar hielten der Gouverneur und ein verdienter Veteran kurze Reden, aber ansonsten wurde auf und vor der Bühne gesungen und getanzt.
Der Veteran und Gouverneuer sprachen mit heißen Herzen von Europa, ach, mit Liebe. „Wir haben eine große Chance! Europa öffnet seine Türen für uns! Endlich! Wir können unser Land neu aufbauen, eine neue Ukraine!“
Das klang schon fast nach Wahlkampf, nach Reklame für den Schokoladen-König Petro Poroschenko („Shit ponovomu“ – „Für ein neues Leben“).

Warum ist Poroschenko so beliebt? Manche sagen spöttisch, er sei der Friedrich Engels unter den Oligarchen – er zahle seinen Arbeitern anständige Löhne, sei ein ehrlicher Mensch, ein fähiger Moderator. Ein erfahrener Politiker sowieso. Außerdem hat er den Majdan finanziell unterstützt und sein Fernsehsender „Pjatij Kanal“ behandelt nach westlichem Vorbild alle Politiker gleich.

Das Fest begann mittags 12 Uhr. Etwa 17 Uhr erschien ein Polizist, ein Hauptmann. Er blieb etwa 2-3 Stunden neben dem Platz vor dem Gogol-Theater stehen und schaute den tanzenden Kindern zu. Ansonsten waren keine weiteren Ordnungskräfte anwesend und auch nicht nötig. Die russische Grenze ist 160 km entfernt, der Krieg im Donbass 250, da muss man nicht nervös werden.

Ich war bis etwa 2 Uhr nachts im Zentrum. Mit ungefähr zehn Freunden und Bekannten habe ich mich längere Zeit unterhalten, vor allem die Nachtgespräche im Park waren natürlich intensiv.
Dahinschmelzen könnte ich jedes Mal, wenn ich Rostislaw Schewschenko zuhöre. Dieser begnadete Mensch jongliert mit den Silben. Vom Ukrainischen wechselt er ins Polnische, von dort ins Russische, dann ins Deutsche – um schließlich am Beispiel eines englischen Wortes einen Vortrag über die Lautgeschichte im 16. Jh. zu halten. Anscheinend beherrscht er etwa zehn Sprachen.
Weil Dima, der Historiker, gut in Form war, und weil Natascha, die Galeristin, ebenfalls plastisch erzählen kann, war dieses Gespräch wieder einmal eine berauschende Erfahrung. Höchstes Niveau. In Poltawa ist jeder zweite Mensch ein Künstler, das muss man wissen.
Natascha zu verstehen fiel mir anfangs allerdings schwer, da sie mehr ukrainisch als russisch sprach, aber dann fühlte ich mich. Der zweite Dima nervte ein bisschen mit seiner Faßbinder-Liebe.

Kichern musste ich über das (zufällige) Treffen mit Sascha, der Schauspielerin vom Gogol-Theater – und Wowas Freundin!
Ich fragte sie natürlich gleich: „Na, bist du jetzt auch eine Separatistin?“ – Uh, sie riss die Augen auf, rollte die R: „Nein! Niemals! Meine Mutter war auf dem Majdan, sie hat dort Butterbrote geschmiert! Drei Monate lang!“
Sie streite mit Wowa und dessen Eltern, sie stehe zwischen ihrer Mutter und ihren Schwiegereltern.

Etwas Wichtiges habe ich am Donnerstag leider verpasst – das Fußballspiel zwischen Dynamo Kiew und Schachtjor Donezk oder Worskla Poltawa – keine Ahnung, schon vergessen. Sie haben wieder „Putin, fick dich“ gesungen (ab 0,30′). Und ich war nicht dabei, welche Schande! Wir waren den ganzen Tag in der Banja.
Bei einer Wahlkampfveranstaltung war ich jedoch, bei der von Oleg Laschko, der Volkspräsident werden möchte. Seine Partei nennt sich radikal, aber Laschkos Rede war nicht schlimm, er prangerte die Korruption bei der Miliz und beim Geheimdienst an, forderte zur Verteidigung der Ukraine auf, verlangte Arbeitsgarantie für die sozial Beschäftigten – eine Chance, Präsident zu werden, hat er ohnehin nicht. Er sprach ukrainisch, etwa 1000 meist junge Menschen hörten zu, davon mehr als die Hälfte Frauen.

*Auch unter Janukowitsch hingen übrigens zwei Flaggen vor dem Kiewer Außenministerium – die ukrainische und die der EU. Es sah aus, als sei die Ukraine bereits Mitglied der EU. – Das sind die Kleinigkeiten, die Putinisten aus der Entfernung nicht erkennen können.

Themen: Russland - Ukraine

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