Geschafft! Wieder in Berlin!

Webmaster Michael gratulierte mir zur Ankunft in Berlin: „Ungläubig und erleichtert, dass du auch diese Tour überlebt hast.“ Ja, warum denn nicht. Der letzte Tag war allerdings schon ziemlich extrem, ich gebe es zu. Ich habe mir den Wunsch erfüllt, eine 24-Stunden-Etappe zu fahren, über genau 334,94 Kilometer, in 16 Stunden 45 Minuten reiner Fahrzeit. Von Leszno in Polen nach Berlin, allerdings mit dem Umweg von etwa 80 Kilometer über Gora, um auch wirklich auf die vielen Kilometer zu kommen – nein, weil ich mich nach einer Umleitung verfahren hatte.
Ich hatte am Vorabend Glück gehabt, hatte Cezary, einen wirklich spaßigen polnischen Crossläufer und Motorrad-Fan in einer Bar kennen gelernt, er lud mich ein, in seinem Häuschen zu übernachten, so dass ich geduscht, rasiert und ausgeschlafen die letzte Etappe angehen konnte.
Start war am Montagmorgen etwa 8 Uhr 30. Ankunft in Berlin am nächsten Morgen 4 Uhr. Anfangs nieselte es etwas, dann klarte es auf, die Sonne schien, ich konnte Jacke und Hose ablegen. Nachmittags entspannte Überfahrt über die Odra, das vierte Mal nunmehr überquerte ich an dieser Stelle den Fluss.
23 Uhr 51 war ich in Frankfurt/Oder, von dort waren es noch 80 Kilometer Nachtfahrt bis zum Haus von G., nicht weit vom Fernsehturm. 20 km hinter Frankfurt begann es zu regnen, für etwa eine Stunde recht heftig, und ich dachte: Bitte, diese Erschwernis nehme ich auch noch mit, wenn es so sein soll.
Autos störten nur selten, das Fahrrad war vor allem hinten gut beleuchtet, ich hatte brav auch die Reflektoren aufgesteckt. Ich hatte viel gegessen an diesem Tag, das wunderte mich, drei warme Mahlzeiten, spätabends in einer polnischen Wald-Bar noch eine Soljanka.
Ich hielt mich, vor allem in den letzten Stunden, dadurch wach, dass ich mir ein Kriminalstück ausdachte und laut erzählte, in dem ich sowohl die Rolle des Klägers als auch die des Beklagten übernahm. Nur an den Anstiegen schwieg ich. Aber sonst: Erzählen ist eine gute Methode, mich wach zu halten.
Dem Richter ließ ich nur eine Nebenrolle, er mahnte vor allem den Kläger häufig zu mehr Sachlichkeit. Über den Fall, der verhandelt wurde, erzähle ich besser nichts, es braucht schon gute Nerven, den Dialogen zu folgen – ich war am Ende selbst erschrocken, zu welchen Konsequenzen die Handlung geführt hatte.
Es war, banal gesagt, ein Rausch, wenige Minuten vor Mitternacht in Deutschland anzukommen. Gleich hinter dem Grenzübergang, an dem ja keine Kontrollen mehr stattfinden, hing eine elektronische Uhr, mein Fahrradcomputer zeigte noch die ukrainische Zeit.
G. war so freundlich, wach zu bleiben; er trug dann gleich mein Fahrrad in den Keller, der starke 60jährige Bursche, während ich, doch stark nach Luft ringend, ihm bloß dabei zusah.
Dann gingen wir in die Kneipe, die Kapitalismus-Kritiker bedienten noch, und der Mann hinter der Theke, der nicht mehr an den Erfolg von Revolutionen glaubt, wie er lauthals verkündete, kochte mir einen Kaffee.
Lviv – Berlin in 5 Tagen, 1075 km. Berlin – Saratov – Berlin, 7655 km, 410 Stunden, 49 Tage. Beim Geschwindigkeitsrekord von 65 km/h blieb es, ich hatte nicht den Ehrgeiz, ihn zu steigern.

Themen: Tour de Wolga

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