Russland – Ukraine

Deutsche Spenden: Tasse Cappuccino mit Schokoladenkeks

Poltawa, 16.02.2025
Kurz zum Thema, weshalb es peinlich ist Deutscher zu sein
Die Deutschen haben im letzten halben Jahr ihre Militärhilfe für die Ukraine gesteigert – von monatlich vier Euro pro Kopf der Bevölkerung (mit deutscher Staatsbürgerschaft) auf jetzt vier Euro und fünfunddreißig Cent. Während man bei vier Euro noch sagen konnte, jeder Deutsche habe den Ukrainern monatlich den Gegenwert einer Tasse Cappuccino in einem Straßencafé spendiert, muss man heute der Fairness halber sagen, inzwischen geben sie noch einen Schokoladenkeks dazu.

«Allein nach dem Wert der gelieferten Waffen und den Finanzhilfen für militärische Zwecke liegt Deutschland mit 11 Milliarden Euro an zweiter Position.»
11 Milliarden geteilt durch 70 Millionen geteilt durch 36 Kriegsmonate.

Natürlich haut man sich in unzähligen „Redeschlachten“ die Milliardenbeträge um die Ohren, nicht den peinlichen Monatsbetrag pro deutsche Schnarchnase.
Armer Diderot, armer D’Alembert, wozu haben sie bloß die „Enzyklopädie oder ein durchdachtes Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Handwerke“ (Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers) herausgegeben. Wozu haben Montesquieu und Voltaire und Immanuel Kant das Denken erforscht und das rationale Handeln gelehrt. Völlig zwecklos, die heutigen Zweibeiner sind nicht einen Deut klüger als ihre Vorfahren. Im Gegenteil, sie wissen über ihre Gegenwart weniger als die Altvorderen; im Verhältnis zum Gesamtwissen weiß jeder Mensch jeden Tag immer weniger. Mit Hilfe von Rauchzeichen werden die wichtigsten Informationen genauer übertragen als mit Hilfe elektronischer Systeme.

PS: Wenn man den Angaben der Bundesregierung glaubt, könnten es inzwischen sogar 5,60 Euro pro Nase sein. Mir ist allerdings nicht klar, ob dabei die verschimmelten NVA-Granaten, sprich geerbtes Material aus der DDR, mitgezählt wurde.

Die goldene Milliarde

Poltawa, 14.02.2025
Aus putin-ruzzländischer Sicht sind Westler reich und hilflos, also ideale Opfer. „Die goldene Milliarde“ nennt der Kriegsherr im Kreml sie. Die in Schokolade leben, wie der Volksmund in ruzzland sagt. Man platzt vor Neid und hasst die „arroganten“ Westler, die ja offensichtlich vieles besser wissen und vor allem besser machen – mehr Patente anmelden, mehr neue listige Technologien entwickeln, bessere Autos bauen. Und dann leben sie auch noch länger leben, u.a. weil sie bessere Gesundheitssysteme haben und weniger Wodka saufen. Und neuerdings besitzen sie sogar die Unverschämtheit, den Ukrainern zu helfen, sich aus Moskaus imperialen Krallen zu befreien. Zwar nur halbherzig, ziel- und konzeptionslos, schüchtern und lieb gemeint. Aber das macht echte putin-ruzzen noch wütender. Das Weiche ist stärker als das Harte, das darf nicht sein. Der putler hat ja recht, wenn er sagt, dass Westler, die Verhandlungen fordern, für ruzzland gefährlicher sind als Waffenlieferanten, so verrückt das für gern im Frieden lebende Westler auch klingen mag. Natürlich ist die Softpower des Westens für putin-ruzzlands Existenz gefährlicher als militärische Hardware. Militärisch glaubt man ja gewinnen zu können, weil die Westler nicht sterben wollen, weil ihnen ihre Schokoladen-Leben unendlich viel wert sind. Aber Lebensfreude zu besiegen ist viel schwerer.

„Bei mir stirbt keiner“

Poltawa, 9.2.2025
Wieder Stoff zum Nachdenken und Schreiben, nach den Gesprächen mit Serhij in Saporischschja.
Er hat an den Fronten im Donbas schon mehr als 3000 Verwundete geborgen, häufig unter Beschuss. „Bei mir stirbt keiner“ ist sein Motto. Es hat sich bisher bewahrheitet. Mit diesem Satz motiviert er auch Verwundete. Für seinen Mut hat er schon etliche Auszeichnungen bekommen. Trotz seiner grässlichen Erfahrungen ist er vom Sieg überzeugt. „Wir können noch sechs Jahre kämpfen, die … (Mutterfluch) nicht.“ Er berichtet von Tagen, an denen Ukrainer drei Verwundete haben, die Sumpfsoldaten 50-100 „Gefallene“.

Wir waren auch am Grab seiner Schwester, die in ihrem Haus von einer Rakete aus den nördlichen Sümpfen getötet wurde. Das Haus stand in einem Rayon mit ausschließlich privaten Häusern, wir haben uns die Reste angesehen. Es ist allerdings möglich, dass die Sumpfgeschöpfe ein leer stehendes mehr-etagiges Haus treffen wollten, es steht wohl in der Flugbahn. Leider gibt es auch noch bürokratische Probleme mit der Entschädigung für das zerstörte Haus.
In den Trümmern des Hauses überlebte der Hund der Schwester, was die Mutter tröstet und erfreut. Der Hund ist aber traumatisiert, er zittert, wenn die Sirenen heulen (sehr oft) und verkriecht sich unter der Decke. Die Mutter weinte am Grab und sagte, sie wolle nicht mehr weinen.
Auf dem Friedhof war das Artilleriefeuer der Unseren deutlich zu hören. „Damit die … (Mutterfluch) sich nicht langweilen“, kommentierte Serhij.
Die Mutter fürchtete, wir könnten von Drohnen gejagt werden, so nah an der Front und zumal in einem Militärfahrzeug. Aber der Himmel war bedeckt, und es waren keine Drohnen zu sehen.
Für die Kinder im nächsten Dorf wurde eine unterirdische Schule gebaut.
Übrigens stehen die Chancen ganz gut, dass Serhij bald einen passenden Krankenwagen aus Deutschland bekommt. Ich hatte ihm im vorigen Jahr ja einen wertvollen Kontakt nach Deutschland vermittelt, diese Frau aus Hannover hilft sehr stark, zuletzt auch bei der Reparatur des Autos. Serhij kauft zwar alle möglichen Sachen vom eigenen Geld, aber das reicht eben nicht. Ohne die vielen Freiwilligen und die Spenden wäre unsere Verteidigung gar nicht möglich.

Sinnlose Suche nach dem einen entscheidenden Grund. Wissenslücken und Denkblockaden.

Poltawa, 27.01.2025
Jeden Tag das gleiche Trauerspiel. Jedes Mal wird mir übel, wenn ich lese, ruzzland führe aus diesem oder jenem Grund Krieg. Weil es angeblich seine Sicherheit bedroht sieht, ODER weil es unter „postimperialen Phantomschmerzen“ leide und deshalb eine revanchistische Macht sei (Herfried Münkler); ODER weil der Krieg nur ein Kampf über-ehrgeiziger Männer sei, keinesfalls einer um Ressourcen (Michael Thumann), ODER aus einer „internen pseudo-religiösen Ideologie“ heraus (Matthäus Wehowski heute bei X).

Nee, Kinder, so einfach ist es nicht. Ihr stochert leider im Nebel mit eurer Suche nach dem einen entscheidenden Grund. Offenbar fällt es westlich geschulten Verstandesmenschen (Vernunft-Aposteln) schwer, viele einander bedingende ideelle UND materielle Gründe gleichzeitig analytisch zu erfassen, darunter zynische, aber auch brutal-faktische. Aber „hartes“ Fachwissen, wie wirtschaftswissenschaftliches, ist unter Geistes- und Osteuropawissenschaftlern selten; Ausnahmen (Andreas Umland) bestätigen die Regel.
Und das gilt auch für auf Erfahrung basierende Beobachtungen, sei es im Bergbau, in der Landwirtschaft oder in der kriminellen Welt (Stichwort Korruption). Deshalb konnte man bis 2022 unzählige Reportagen über die angebliche Gespaltenheit der ukrainischen Nation lesen, über den angeblichen Spracheinkonflikt; aber fast keine über brutale soziale oder ökonomische Gegebenheiten, von denen fast alle Ukrainer betroffen waren. Für letztere muss man nämlich Langzeitstudien erstellen und sich Fachwissen aneignen …
Außerdem muss man auch „um die Ecke“ denken können, dialektisch, hätte man in vor-postmodernen Zeiten gesagt, d.h. in Widersprüchen und amoralisch. Kleines Beispiel: ruzzland fühlt sich nicht nur vom Westen erniedrigt, sondern es ist auch objektiv gesehen in einer erniedrigenden Position gegenüber dem Westen u.a entwickelten Nationen, wenn auch in einer selbstverschuldeten. (In Deutschland müsste man das eigentlich sehr gut verstanden: Die alte BRD hat der DDR nicht gedroht, schon gar nicht militärisch, war aber doch eine existenzgefährdende Bedrohung für Hegels Schmalland.) Deshalb ist es völlig zwecklos, Vertreter ruzzlands davon überzeugen zu wollen, dass der Westen keine Bedrohung für ruzzland darstelle. Er will keine Bedrohung darstellen, aber er tut es – aufgrund seiner Attraktivität, seiner wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Erfolge, seiner Vielzahl an Handlungsmöglichkeiten. Das gleiche gilt für eine friedliche Entwicklung in einer souveränen Ukraine. Sie bedroht ruzzland nicht aktiv, aber objektiv gesehen doch durch ihr leuchtendes, fröhliches Beispiel.

Stiller Morgen

Poltawa, 31. Januar 25
Wie jeden Tag ist die Wohnung überheizt, die Heizungen lassen sich nicht regulieren. Ich muss das Fenster öffnen, um eine erträgliche, zum Denken geeignete Temperatur zu ermöglichen. Für einen Monat Wärme habe ich gestern 1270 Griwna, umgerechnet 28 Euro bezahlt. Auf die Garagenwand gegenüber hat jemand ein Graffiti gesprüht: „Frauen zu lieben ist kein Grund zu weinen.“ –

Im Green Deal Ukraine – EU 2021 war auch das klimaneutrale Wohnen als Ziel definiert worden, nicht bloß klimaneutrales Produzieren, Verkehr und Reisen. Die Transformationsprogramme waren verblüffend kühn. Die Ukraine führte laut KyivPost und der Europäisch-ukrainischen Energeiagentur EUEA die Liste der Länder mit der ineffektivsten und teuersten thermischen Stromerzeugung an. Und sie hatte wohl die energieintensivste Volkswirtschaft der Welt – und sollte innerhalb von 30 beste europäische Standards erreichen. Es fehlten bspw. Müllverarbeitungs- und Biogasanlagen – und eine bekannte deutsche Firma eröffnete in diesem Jahr lt. meinen Recherchen elf solcher Anlagen, und zwar ausschließlich in Zusammenarbeit mit den ukrainischen Gemeinden, zum beiderseitigen Vorteil – „Der Investor will sich weder mit dem Staat noch mit der Wirtschaft befassen. Die Partner sind lokale Gemeinschaften.“
Selbst in der deutschen Presse erschienen einige gehaltvolle Berichte über die enormen Perspektiven einer umfassenden Modernisierung der Ukraine und ihrer Integration in EU-Strukturen, durchaus auch in martialischen Tönen.
Die Welt: „Die Ukraine in der Energieschlacht gegen Russland zum Sieger machen. (!) Bisher wurde dieser Kampf ums Erdgas ausgetragen. Aber die Klimaziele Europas und Deutschlands haben zu neuen Perspektiven geführt. Erdgas wird in den nächsten Jahren an Bedeutung verlieren. An seine Stelle, hofft man in Kiew, wird Wasserstoff treten – und die Ukraine zu Deutschlands engem Energie-Verbündetem machen.“
Das hat man in Moskau natürlich überhaupt nicht gern gelesen. Solche Vereinbarungen werden dort unter dem Vorwurf verbucht, „der Westen hat uns immer betrogen“ – er will uns aus den Märkten drängen, uns schaden und enteignen, ökonomisch zerstören. Die putler-Schallplatte spielt dieses Märchen vom Betrug ja regelmäßig vor. –

Gestern hatte ich zwei wichtige Gespräche mit Ernst und Tanktist Vitja. Ernst kam aus der Schweiz, um eines unserer gespendeten Autos nach Charkiw zu bringen. Wenn ich nicht als Freiwilliger arbeiten würde, würden mir wichtige Einblicke in ukrainische Wirklichkeiten fehlen, das merke ich immer wieder. Über manche Erkenntnisse werde ich frühestens nach dem Sieg sprechen, manche erträgt man nur mit Galgenhumor. Bspw. die Art und Weise, wie bürokratische Zwänge und Gewohnheiten sogar die Versorgung des Militärs behindern, also sogar Menschenleben gefährden.
Mit Vitja ist jedes Treffen ein Fest, auch weil er die Frontkämpfe und seine Verwundungen überlebt hat. Gestern haben wir nicht Schach gespielt, aber grusinischen Kognak getrunken und über ukrainische Geschichte diskutiert. Ich konnte etwas Neues lernen über die vor-sowjetische Geschichte des Passwesens und der Kirchendokumente, v.a. im Hinblick auf die Angaben zur Nationalität. Und ich konnte Vitja hoffentlich einige Illusionen über den derzeitigen Zustand der Politik in Deutschland nehmen. (Deutschland als Parodie seiner selbst, das wäre als Theaterstück amüsant und lehrreich. Aber als Wirklichkeit gefährlich selbstverblendet, trottelig und trantütig. Man feiert den Sieg der Schrebergarten-Mentalität.)

Der Krieg und der Reichtum der deutschen Sprache

Poltawa, 6.1.2025
Geeignete, meines Erachtens zu selten genutzte Worte und Redewendungen zur Beschreibung des deutschen Beitrags am Völkermord in der Ukraine, 2014 – 2025:
Herumgeeiere, Hasenfüßigkeit, Gefühlsduselei, Gratismut, Nutznießer des Bösen, falsche Freunde („Natürlich traue ich meinen Freunden – trotzdem würde ich nicht jedem alle Waffen geben.“, Scholz, Bundeskanzler, der), falsche Fuffziger, Gschaftlhuber, großkotzig („Deutschland ist und bleibt der größte Unterstützer der Ukraine in Europa“ – mit vier Euro monatlich pro Kopf der Bevölkerung), Korinthenkacker, Krämerseelen, Selbstverliebtheit, Selbstverblendung, Selbsthass, Selbstbefriedigung (politische Onanie), Pfennigfuchser, Schlafwandeln, Schrebergartenmentalität, Spökenkiekerei, vorauseilender Gehorsam („Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andre an!“), Verachtung verdienend, Buchhaltung des Todes, die Unschuldigen mit den blutigen Händen, Zeugen des Sofas, zum Fremdschämen, Journalisten als Stimmungskanonen …

putler: Krieg aus Langeweile

Poltawa, 2.1.2025
Mitschnitte, Notizen für meine Interviews mit Radio Bremen, Südwestrundfunk, Hessischer Rundfunk, Westdeutscher Rundfunk 2024
# Wie erleben die Menschen in der Ukraine das 3. Weihnachtsfest im Krieg?
Wird zurückhaltend gefeiert. Wo früher 200 Buden auf dem Weihnachtsmarkt waren, sind jetzt vielleicht noch 10. Die Stadtverwaltung wollte keinen Weihnachtsbaum aufstellen. Eine private Initiative hat einen kleinen Baum organisiert und geschmückt. 3x kleiner als der vor dem großen Krieg.
# Wie wird die Verlegung des Weihnachtsfestes vom Januar auf Dezember angenommen?
Sehr gut. Alle Befragten sind für die europäische Tradition, für den Abschied vom sowjetisch-ruzzländischen Imperialismus. Nur eine Frau, die etwa 15 Jahre jünger ist als ich, sagte, sie sei zu alt, ihre Gewohnheiten zu ändern.
# Auf Poltawa gab es einen der schwersten einzelnen russischen Angriffe auf die Ukraine. Mindestens 50 Menschen starben in Poltawa. Wie haben Sie die letzten Monate erlebt? Wie ist das Leben für Sie in Poltawa?
Einer meiner Freunde half nach diesem Massaker, dort Verwundete zu bergen. Er war schwer traumatisiert. Ich war 2-3 Bushaltestellen entfernt.
Mit dem Risiko, jederzeit getötet werden zu können, müssen wir alle hier leben.
Fast jede Nacht fliegen russische Drohnen über unsere Stadt, und man hört das Abwehrfeuer der Ukrainer und hofft, dass sie erfolgreich arbeiten werden.
Einer meiner besten Freunde wird vermisst … Pascha.
Ein anderer Freund hat seine Schwester verloren, als die Russen sein Haus bombardiert haben.
# Ist der Krieg zum Normalzustand geworden?
Jeder Tag kann der letzte, dieses Bewusstsein verlässt einen nicht.
Und man weiß, warum.
Ruzzlands illegitiemer Präsident hat ja einen neuen Kriegsgrund genannt: KRIEG AUS LANGEWEILE
W
enn Stabilität herrscht, langweilen wir uns, sagte er. Wir brauchen Action. Wenn uns die Kugeln um die Ohren pfeifen, dann ist das zwar schrecklich, aber wenigstens nicht langweilig.
Deshalb: wenn ich an Deutschland denke,
denke ich oft: ihr macht es dem Soziopathen im Kreml leicht, aus Langeweile Krieg zu führen.
# Umfrage: Mehrheit der Ukrainer für Friedensgespräche. Wie nehmen Sie da selbst die Stimmung wahr? Warum sind die Menschen dafür (???) – auch wenn der Preis ggf. hoch wäre mit der Abtretung der Gebiete in der Ostukraine?
73 % der Ukrainer sagen: bevor irgendwelche Gespräche beginnen können,
sollen die ruzzen ihre Truppen abziehen
und den Beschuss einstellen
Razumkov-Zentrum
88 Prozent glauben an Sieg – Ukrainskaja Prawda
Verhandlungen womöglich
dem Westen zuliebe, um zu demonstrieren, dass sie zwecklos sind
der Westen taumelt konzeptionslos vor sich hin und hat die Dimension des Krieges noch nicht verstanden.
Parodie seiner selbst. Scholz „gerechter Frieden“
Blinken: „Waffenstillstand zu fairen und langfristigen Bedingungen»,
Ohne harte Sicherheitsgarantien vom Westen – sowieso zwecklos
Würden Sie Bremen oder Hamburg an die Russen übergeben, wenn die das wollten?
Stimmung“: die meisten Männer: kämpferisch, entschlossen und sogar siegesgewiss.
Die meisten Frauen: verängstigt, skeptisch

Für traurige Belustigung sorgen die Diskussionen im Westen.
Manchmal möchte ich mir ins Knie beißen, wenn ich die Diskussionen in Deutschland verfolge …
sonst: 73 % der Ukrainer unterstützen die Wiederherstellung des Atomwaffenarsenals der Ukraine – Umfrage.
Formal juristisch wird sowieso niemand Gebiete abtreten, das würden Sie ja in Deutschland auch nicht machen.
Ukrainer wissen, dass man Vertreter Russlands gar nichts glauben darf. Die haben nur ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit.
Methodische Denkfehler (und -blockaden) im Westen, ein harmloses Beispiel:
Putin – verrückt oder nicht? Tatsächlich: beides, Serienmörder, rational handelnd innerhalb seines Wahnsystems. Sadist – verspottet die Opfer, amüsiert sich über den Krieg. Gefährlich, weil an seine Lügen glaubend, statt sie bloß als Tranung benutzend, hat ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit, aber nicht zur Lüge. Kann man sich mit ihm auf irgendetwas einigen? Ist er zurechnungsfähig – ja und nein.
Der Westen spielt Mäuschen: „Du musst nur die Laufrichtung ändern, sagte die Katze zur Maus und fraß sie.“ Franz Kafka
Was man im Westen u.a. übersieht:
Auch Ukrainer sind gezwungen, die Feinde zu täuschen. Es kann taktisch bedingt sein, sich als schwächer zu beschreiben als man ist – um „Überraschungen“ vorzubereiten.

Notizen über Ziegelsteine, das Radfahren, deutsche Mörder und deutsche Polizisten, und: Karl Marx über die Feigheit des Westens im Umgang mit Russland

Poltawa, 5.1.2025
Schöner Sonntagmorgen, erst drei Mal Luftalarm. Sonnenstrahlen scheinen auf rotes Gemäuer. Seit jeher ein meditativer Anblick für mich: Ziegelsteinmauern mit HANDGEBRANNTEN Steinen. Ich habe ja selbst jahrelang als Maurer gearbeitet, im Straflager Kindheit und freiwillig, um meine Studien zu finanzieren. Als ich aber 25 Jahre später in einer ukrainischen Bauarbeiterbrigade mithelfen durfte, merkte ich, dass ich die Technik zwar noch beherrschte – die rauen Steine zu greifen, mit Beton einzuschmieren, anhand der Richtschnur und mit der Wasserwaage die Ziegel dann sorgfältig versetzt aufzuschichten. Aber Kraft und Ausdauer waren lächerlich gering. 200 Kilometer radeln am Tag, kein Problem, im Gegenteil, das ist fröhlicher Rausch, Genuss um seiner selbst willen. Nirgendwann habe ich so schöne Vorträge gehalten wie mir selbst beim Radeln durch die Ukraine. Nirgendwo habe ich beim Radeln solche Freiheit erlebt wie hier. In Deutschland sprang, statistisch gesehen, alle 80 Kilometer ein deutscher Ordnungsbürger aus dem Gebüsch, wenn ich am Sonntagmorgen bei Rot autofreie Straßen überquerte, und er schrie: „Strafe zahlen!“ oder „Ich rufe die Polizei!“. In Polen hupte oder schrie niemals ein Autofahrer, weil ich ihm im Wege war, wie ich das von Deutschland kannte. Die Polizei brachte mich am Sonntagmorgen ins nächste Restaurant, als ich „versehentlich“ auf einer autofreien Autobahn radelte, natürlich, ohne dass ich Strafe zahlen musste. In der Ukraine aber lud die Polizei mich oft zum gemeinsamen Erholen ein, vulgär gesagt zu Sauftouren, sogar an der Grenze und am frühen Morgen. Die Vorstellung, dass dich jemand anschreit, weil du Regeln verletzt, die in diesem Moment völlig unnötig sind, und deren Verletzung niemandem weh tut – ist gänzlich irreal.
Zurück zu den handgebrannten Steinen. Ich weiß also die physische Arbeit zu schätzen, und wohl auch deshalb beglückt es mich, eine Ziegelsteinmauer anzusehen. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass jeder Stein eine Geschichte erzählt. Der Maurer, der ihn zum Ganzen gefügt hat, ist lange schon verstorben. Die Kriege, die die Mauer überlebt hat, wurden nicht so gründlich gefilmt wie der heutige. Vielleicht hatten sich hinter dieser Mauer die deutschen Mörder einquartiert, die wenige Tage nach Beginn der Okkupation Poltawas viele jüdische Mitbürger ermordeten, nicht weit hinter dem heutigen zentralen Markt. Jene Mörder, welche die damals achtjährige Klawdia zu einem Teller Suppe einluden. Das Mädchen war am Tag nach dem Massenmord am Rande des Geländes gewesen, wo die Erde noch atmete, wo noch dumpfes Stöhnen in der Erde zu hören war, weil unter den vielen Toten noch einige Menschen noch lebten. Und das Mädchen hatte Hunger und wusste, dass es die Mörder waren, die sie zu einem Teller Suppe einluden. Und die Mörder wussten nicht, dass das Mädchen selbst eine Jüdin war, sie und ihre Schwestern und ihre Mutter.

PS: Ich wollte eigentlich einige Vorhaben fürs neue Jahr formulieren, aber der Anblick der Steine faszinierte mich zu sehr. Und jetzt bin ich hungrig, werde schnell bisschen Hühnerfleisch braten, dann im Zentrum spazieren, dann Freunde vom Deutschen Sprachclub treffen. Und abends „Marx gegen Moskau“ bis zum Ende lesen – interessant die Parallelen zwischen dem 19. Jahrhundert und dem 21. – Marx beschreibt die „Feigheit, Zaghaftigkeit und Halbherzigkeit“ der westlichen Regierungen, „das System der halbherzigen Maßnahmen und nutzlosen Verhandlungen“, insbesondere der englischen Politik.
„Obgleich es für Marx auf der Hand lag, dass es darum gehen müsste, die Kräfteverhältnisse auf dem Schlachtfeld zu drehen, ertönte an allen Orten merkwürdigerweise der Ruf nach ‚Verhandlungen’“.
„Aufstieg Russlands bedeutete Niedergang aller anderen Fürstentümer und Republiken, das Endes des ukrainischen Hetmanats und die Zerschlagung Polens. Es ist Einigung durch Eroberung, Vereinigung durch Unterwerfung, Anpassung an die Bedürfnisse des Zentrums (Moskau), Herrschaft ohne Vertragsabschluß. Die von Moskau Beherrschten sind keine politischen Rechte genießenden Bürger, sondern zur Treue verpflichtete Untertanen. … Russland schafft keine politischen Einheiten, sofern vernichtet sie; es lässt keine freie Presse zu, sondern die Zensur walten; die physische Gewalt herrscht nicht ausnahmsweise, sondern in der Regel. Es hat eine eigene, rein reaktionäre Mission: mittels der zu brechenden Macht des Westens (und damit auch des Proletariats) das wahre Kaiserreich auf Erden zu errichten und die Welt von Moskau aus zu beherrschen.“

aus Timm Graßmann, „Marx gegen Moskau, Zur Außenpolitik der Arbeiterklasse“

Einige Höhepunkte des Jahres 2024

Poltawa, 29.12.2024
1. Wir leben. Ich lebe, fast alle mir nahen Menschen leben. Lenotschka und „Rucksack“ leben.
Rock’n’Roll-Gitarrist Andrej lebt. Artjom lebt. Bolschewik lebt. Jura lebt (nach 6 Jahren Horror an der Front.)
2. Frau W. aus Hannover hat 200.000 Euro gespendet, fast alle ihre Ersparnisse. Es sei ihr eine Herzensangelegenheit, sagt sie.
3. Ich konnte dabei helfen, vier Autos für unsere Verteidiger zu besorgen.
4. Ich konnte ca. 3000 Euro Spendengelder „verteilen“.
5. Ich habe eine eklige Virus-Erkrankung überlebt.
6. Ich konnte mit meinem Sohn Urlaub machen.
7. Ein deutscher Schachfreund schenkte mir das Kompliment, ich sei zäh / schwer zu besiegen. Ein ukrainischer Schachfreund schenkte mir das Kompliment, niemand spiele so wie ich.
8. Mein Erzeuger hat das Zeitliche gesegnet.
9. Mir ist ein neuer Sohn zugelaufen. Falls er wirklich mein Sohn ist, so habe ich ihn im Alter von 16 Jahren gezeugt. Er ist ein gütiger Mensch, aber manchmal muss ich mit ihm schimpfen. Er hat mehr Kriegsverletzungen als ich seelische.
10. Tankist lebt. Eine ruzzländische Drohne hat ihm das Bein zerfetzt. Er kann wieder laufen, aber nicht schnell.
11. Bandurist ist wach wie eh und je. Mit ihm kann ich stundenlang Gedanken-Ping-Pong spielen. Das ist schön.

Einige schreckliche Höhepunkte des Jahres 2024

Poltawa, 29.12.2024
1. Ein Freund in B., südlicher Oblast Charkiw, 30 km vom Oblast Donezk entfernt:
„Nimm bitte diese Lampe als Geschenk, denn von uns wird nichts bleiben, aber wenigstens diese Lampe soll überleben. Es ist eine besondere Lampe, denn ihre leuchtenden Kristalle stammen aus den Salzminen von Solidar. Ob wir jemals wieder dort sein werden?“
„Von uns wird nichts bleiben“ – weil wir bis zum letzten Mann kämpfen werden.
2. Grinsender feixender kichernder deutscher Bundeskanzler: „Trotzdem würde ich nicht jedem (Freund) alle Waffen geben.“ Heißt: Ich wasche meine Hände in blutiger Unschuld, tralalalala.
3. Mein Freund Pascha ist nicht mehr da. Bei seinem ersten Kampf schoss ein feindlicher Panzer auf ihn.
4. Ruzzländische Propagandisten unzählige Male im ruzzländischen Staatsfernsehen: „Kyiv, Dnipro, Charkiw und Sumy müssen vollständig vom Erdboden verschwinden. Großbrittanien erledigen wir mit einer Bombe.“
5. Unzählige nützliche Idioten in Deutschland: „Aber die ruzzen haben doch gesagt, wo für sie die roten Linien verlaufen.“ Bedeutet: Wenn wir brav sind wird uns nichts passieren. Wenn wir den Mördern die Hände küssen werden sie uns nicht ins Knie fi …
6. Rechnung des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel: Wert der deutschen Militärhilfe für die Ukraine – vier Euro monatlich pro Kopf der Bevölkerung.
7. Etliche Verkäuferinnen in Poltawa: „Warum? Was haben wir getan?“
8. Anna Vero Wendland, 1.8.24:
«Die Deokkupation der Ukraine kann nicht kommen, weil sie im Westen keiner ernsthaft will. Es sollten sich also die Entscheider von Biden bis Bundeskanzler nicht über die @Buendnis_SahraW -Antiwestler erheben; sie sind nicht besser, nur verlogener. Sie machen der Ukraine Westintegrations-Perspektiven vor, die zu verteidigen und abzusichern sie aber nicht willens sind. Dieses Locken & Fallenlassen war der Beitrag des Westens zum russischen Überfall auf die Ukraine.“
9. Tagebuch, Sommer:
Deutschlands „Vorzeigephilosoph“ Habermas behauptet: „Unter Führung der USA hält der Westen den Krieg gewissermaßen am Laufen – ohne erkennbare Versuche, ihn einzudämmen.“
Wie man Völkermord mit Diplomatie „eindämmen“ und Terroristen gesund beten könnte, das erklärt er nicht, aber er bleibt seinem selbstverliebten moralischem Rigorismus treu:
„Ganz unabhängig vom Widerstandswillen der Ukrainer trägt der Westen mit seiner logistischen Hilfe und seinen Waffensystemen eine Mitverantwortung für die täglichen Opfer des Krieges – für jeden weiteren Toten, jeden weiteren Verwundeten und jede weitere Zerstörung von Krankenhäusern und lebenswichtigen Infrastrukturen.“
Heißt: Wenn die Ukrainer sich bereitwillig versklaven und / töten lassen würden, müssten die ruzzen keine Krankenhäuser zerstören.
10. Büchner-Preisträger D.G.: „Dieser Krieg wird nur von einem Mann geführt, von …“ Wladimir Putlerowski.
11. Wir sitzen mit Freunden im Park, erholen uns mit Wässerchen, ich äußere die Absicht meinen deutschen Pass zu verbrennen, ICH WILL KEIN DEUTSCHER SEIN; ICH WILL KEIN FEIGLING SEIN; ICH WILL DEN MÖRDERN NICHT HELFEN!
Olena, trocken: Deinen deutschen Pass solltest du in Berlin auf einem öffentlichen Platz verbrennen, nicht hier im Park.
Stimmt, ich bin nicht so mutig, wie ich sein möchte, handle nicht immer so durchdacht wie ich sollte und könnte. Ich gelobe Besserung.

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