Balzac auf der Flucht in die Ukraine (2)

Literarisches Geschichtsmuseum Balzac. Ich habe offenbar einen Sonnenstich. Ich fahre zurück, lese noch einmal: Literarisches Geschichtsmuseum Balzac. Neben dem Schild picken Hühner im Gras, eine Ziege betrachtet mich etwas erstaunt, auf der anderen Straßenseite rufen drei Frauen: Kommen Sie! Feiern wir! Ganz nüchtern sind sie nicht mehr. Ich rolle zu ihnen rüber, die Älteste betastet erst meine Wade, dann glaubt sie, dass ich von weit her komme.
Tatsächlich, sie bestätigen es, hier soll es ein Balzac-Museum geben, am Ende des Dorfes.
Keine Chance, meine Damen, ich muss weiter!Eine hält den Lenker fest, die andere streichelt wieder mein Bein.
Söhnchen! Mein Freund! Feiern wir! Wo willst du hin? Sind wir dir nicht sympathisch genug?
Ach, diese Frauen.
Es ist fünf Uhr nachmittags, falls es ein Museum gibt, könnte es in einer Stunde schließen. Ich fahre bis an den Ortsrand, ein Hirtenmädchen läuft weg, als ich sie fragen will, doch eine ältere Frau nähert sich. Im nächsten Dorf soll das Museum sein, meint sie. Im nächsten Dorf ist es auch nicht, aber im übernächsten. Das bestätigen jedenfalls alle Leute, die ich frage. Ich fahre drei Mal an dem Gebäude vorbei, es liegt etwas oberhalb der Straße.
Honore de Balzac, Idol meiner Jugend, reiste in die Ukraine, um seine Brieffreundin und spätere Frau, die Gräfin Ganska, zu besuchen. Es war unter vielen verrückten Handlungen doch nicht seine verrückteste. Im Schuldgefängnis erteilte er seinen Mithäftlingen Unterricht, bezahlen mussten sie mit Schweigen, damit er ungestört arbeiten konnte. Liebesfähig war er nicht natürlich, zwanzigstündige Schreiborgien erschöpften nicht nur den Geist. Was er liebte, war eine Groschenroman-Fantasie.
Ich schiebe mein Fahrrad den Berg hoch, da zeigt ein Schild, was ich suche. Arm war die Gräfin nicht. Niemand ist da, ich fotografiere. Ein Mann in Arbeitskleidung geht vorüber, er bleibt kurz stehen, um auf meine Fragen zu antworten.
Das Museum bestehe aus einem Zimmer, Sonntagnachmittag sei geöffnet. Das Haus sei heute ein Studentenwohnheim eines landwirtschaftlichen Instituts.
Dann verschwindet der Mann im Keller.

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Themen: Tour de Wolga

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