Wieder in Saratov (1)

Nach 6264 km und 44 Etappen in Saratov angekommen. Müde und erschöpft wie seit langem nicht mehr. Zerrung im linken Oberschenkel, auch die Knie schmerzen etwas.

Es war die Tour der Pannen bisher – drei oder vier Reifenpannen, gebrochener Gepäckträger, zermalenes Kugellager, gebrochener Kettenschutz, defektes Licht. Außerdem habe ich schon zwei Luftpumpen verbraucht – eine verloren, die zweite taugte nichts, bald brach ein Dichtungsring, für die dritte fehlt eine Zwischenmutter. Außerdem oxidieren die Zeltstangen, sie lassen sich kaum noch ineinander schieben.

Die letzte Woche war auch recht hart, ich fuhr die 1000 km in 6 Tagen vom Donbass bis hierher. Nach Russland musste ich mit dem Zug einreisen, da der Grenzübergang (Piski), den ich mir auf der Karte ausgesucht hatte, nur für den kleinen Grenzverkehr geöffnet ist. „Die Karte weiß nicht alles“, meinte der weise ukrainische Offizier. So fehlte mir ein halber Tag, außerdem der erhebende Moment, mit eigener Muskelkraft nach Russland gelangt zu sein. Dann bog ich vor Rossosch in die falsche Straße ein, fuhr im kalten Regen und bei scharfem Gegenwind 70 km in die falsche Richtung bergauf, bis ich an einem Dorfkiosk beim Studieren der Karte den Irrtum bemerkte. Dann folgten gut 50 km pod-goru-na-goru, bergab-bergauf, so dass ich für die 150 km an diesem Tag 9 Stunden 43 Minuten brauchte, statt wie sonst 8 Stunden. (Ich diktierte beim Fahren aber mehr als sonst, wohl aus Wut über meine Blödheit.) Am nächsten Tag, 400 km vor Saratov, erkannten mich abends einige Automechaniker, ich ließ mich zum Feiern und Schwatzen überreden, kam erst 2 Uhr nachts zum Schlafen. Da ich unbedingt zwei Wochenenden in Saratov verbringen wollte, musste ich dann die verlorenen Kilometer wieder aufholen, fuhr 180 km bis kurz vor Mitternacht und zeltete gar nicht weit von der Straße. Nach sechs Stunden Schlaf wieder auf den Bock, bis 19.00 Uhr musste ich in Saratov sein, um die Kolleginnen in der Bibliothek noch anzutreffen. Ich wollte und wollte nicht einsehen, dass das nicht zu schaffen war, auch wenn ich im Fahren aß, auf Pausen verzichtete. Nach 165 km, zwei Fahrstunden vor der Goldenen Stadt, war dann klar, dass die Wolga noch warten muss, Ankunft erst Sonntag …

Ich kenne die Straßen von und nach Saratov inzwischen so gut, ich kenne die Schlaglöcher, die verflucht langen Anstiege, ich weiß, wo der Borschtsch kalt und lieblos serviert wird, welche Verkäuferin niemals lächelt, und welche sagen wird: Ich habe einen Schock.

Ganz neue Erfahrungen: die heiß-kalten Knie, das Zittern, die Fieberschübe in den Waden, wenn ich aus dem Sattel steige. Verdammt noch mal, das sind alles lächerliche Leistungen, ich bin im besten Fahreralter, ich kann mit meinen Kräften besser als ein Zwanzigjähriger haushalten. Gejammert wird sowieso nicht, wenn schon denn schon schreie ich, es hört ja niemand.

Themen: Tour de Wolga

2 Kommentare to “Wieder in Saratov (1)”

  1. Maximilian Semsch schreibt:
    12th.August 2009 um 12:30

    Hallo Christoph,

    wie ich sehe hat es dir die Reise nach Saratov wirklich angetan. Spürst du nicht den Drang auch mal andere Länder/Strecken zu bereisen. Wie du schon sagts du kennst doch mittlerweile jedes Schlagloch.
    Zumindest hast du es geschafft auch dieses Jahr wieder eine Tour zu fahren, ich hingegen bin in Deutschland und werde es erst nächstes Jahr wieder auf Tour schaffen. Aber immerhin ist mein Film fertig und den gibt es jetzt auch auf DVD, kann man über meine Homepage bestellen;)
    Tritt in die Pedale und alles Beste

    Max

  2. Honigdachs schreibt:
    30th.August 2009 um 23:58

    Hallo Max! Danke für den Gruß. Ich empfehle deinen Film, ohne ihn gesehen zu haben. Ja, ja, in manchen Gegenden kenne ich inzwischen jedes Schlagloch. Für nächstes Jahr plane ich eine etwas andere Route. Alles Gute dir, Christoph

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