Aufstehen!

Morgen für Morgen der gleiche Ablauf: Gegen sechs, spätestens sieben Uhr wache ich auf; schwer ist der Körper, als ob er eingegipst wäre.
Wo bin ich? Ach, irgendwo, und die Erde dreht sich noch.
Das Fahrrad ist noch da, das aufgeklappte Messer liegt noch neben mir. Ich will die einzige öde Zeit des Tages schnell hinter mich bringen, die einzige Stunde, in der Routine nötig ist, in der nichts Neues und Gutes passieren wird.
Ich könnte ja länger liegen bleiben, könnte schlafen, aber das will ich nicht; es fehlte mir der Stolz, mich überwunden zu haben. Es wird nichts besser durch Faulheit.
Fahrradhose und –trikot ziehe ich aus dem Schlafsack, sie sind also vorgewärmt. Der Schlafsack ist oft feucht vom Tau, auch der Zeltboden kann glitschig nass sein.
Im Gehirn rattert es schon. „Leser wollen natürlich betrogen werden. Es ist altmodisch, eine Wahrheit zu erzählen. Die meisten Verlage reagieren panisch bis hilflos, wenn ihnen mal Literatur begegnet. Wie nannten die Geldgeber das Motto der Veranstaltung: ‚SprachLandSchaft: Wanderungen durch die Spra- che.’ SprachLandSchaft, geht es denn noch kindischer, noch unverbindlicher, oder ist hiermit der Gipfel der Kinderei und der Sabberei erreicht? Wie kann man durch die Sprache wandern? Diese Epoche ver- zichtet aufs Eigene, weil sie vom Fremden zu viel hat.“
Die Zeltstangen oxydieren, sie lassen sich schwer auseinander ziehen. Zwei der Gurte, mit denen ich das Gepäck ans Fahrrad binde, sind schon arg durchgescheuert.
Ich will nicht an diese oder jene Person denken. „Bitte nicht wieder das gleiche denken! Bitte nicht die Klagegesänge von gestern!“
Ich trinke nur etwas Wasser, frühstücke nicht. Bis ins nächste Dorf sind es meist zehn, zwanzig Kilometer, die Geschäfte öffnen meist früh um acht. Fast immer brüht man mir dort einen Kaffee, dort oder eben im nächsten oder übernächsten Dorf. Bis zu vierzig Kilometer kann ich ohne Frühstück fahren, danach endet aber der Spaß an der Askese.
Die ersten zwei Stunden sind ohnehin schwer, die Beine tun weh, das Fahrrad scheint schwerer als am Abend, besonders an den Steigungen. Dafür wehen morgens selten starke Gegenwinde.
Auf der ersten Reise, 2007, hatte ich noch Schmerzen und Wunden am Hintern, da ich den Fehler machte, mit einem Kunststoffsattel zu fahren. Leder ist besser, es wird steinhart und bekommt die Form, die der Körper will.
Am liebsten fahre ich durch Dörfer, jedes Haus, ach, jeder Brunnen erzählt schließlich Geschichten.
Omachen pflockt die Kuh an. Das sieht leicht aus, doch sie muss den Hammer aufs Feld tragen, muss den Pflock tief in den Boden schlagen, denn so eine Kuh ist stark, und sie hat auch einen Freiheitswillen, wenn auch einen trägen.
Was Omachen wohl denkt über mich? Kommt ein Marsmensch geflogen …
Opachen spannt die Pferde an. Hähne krähen, Hunde bellen, Puter bewachen lüstern ihre Harems.
Viele Häuser sind im Russischen Blau gestrichen, auch viele Zäune, es ist eindeutig die beliebteste Farbe hier in diesen Breiten.

Themen: Tour de Wolga

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