Vorfreude

Die meisten der Handlungen, denen ich mich in Deutschland gleich nach meiner Rueckkehr voller Eifer widmen werde, lassen sich unter der Formel zusammenfassen: nervtoetender Quatsch.
Erste Aufgabe: Steuererklaerung abgeben. Das Finanzamt droht schon, man werde „mich schaetzen“, d.h. fantasievolle Einnahmen festlegen, fuer die ich dann Steuern zahlen soll.
Meine Einnahmen aus dem vorigen Jahr belaufen sich etwa auf 3000 Euro, ich habe also, ausgehend von einer woechentlichen Arbeitszeit von 70 Stunden und 40 Arbeitswochen, etwas mehr als 1 Euro pro Arbeitsstunde verdient.
Ich werde das Haus betreten, in dem man „Steuer Erlaerung“ statt „Steuererklaerung“ schreibt, und in dem die Mitarbeiter Abmahungen erhalten, wenn sie auf Rechtsverletzungen hinweisen, die gegenueber den steuerpflichtigen Buergern begangen werden. Ich werde vor Gummiruecken mit goldenen Hintern sitzen, demuetig die Haende falten und stotternd ERLAEREN, weshalb ich unverstaendliche Formulare nicht fristgerecht ausgefuellt habe. Ich werde eine Sache sein, ein Vorgang. Meine Ueberzeugung, dass der Staat die groesste kriminelle Vereinigung ist, wird sich verfestigen. Ich werde mir eingestehen, dass Heiner Muellers Beobachtung zutrifft: „Die oekonomischen Zwaenge sind viel schlimmer als die politischen Zwaenge in der DDR gewesen sind.“ Ich werde mich troesten mit dem Wissen, dass es „kein anderes Modell in dieser Zivilisatiobn gibt als Auschwitz“, d.h. ich werde die Prinzipien der Selektion studieren und die Bereitschaft der Gummiruecken, die eigene Meinung zu verleugnen – da ja sein muss, was sein muss. Ich werden den Gummiruecken nicht erklaeren koennen, dass meine Arbeit wichtig ist, auch wenn sie heute und vielleicht nie einen oekonomischen Gewinn einbringen wird. Ich werde das Gebet fluestern DIE KAPITALSTROEME SIND UNSICHTBAR. Ich werde den Gestaltenschwund in der Arbeitswelt verfluchen. Ich werde den Zeiten nachtrauern, da man noch an das Wort glaubte: Alle Raeder stehen still, wenn dein starker Arm das will. Ich werde mich nach der Kifferszene im wilden Osten sehnen, wo man einander zuzwinkert und ueber den Staat Witze reisst und kein Heil von ihm erwartet, wo sich auch kein Dichter mit gefoenten Haaren findet, der den faschistoiden Satz apostrophiert, das Glueck bestehe im Funktionieren.
Meine Bereitschaft, lieber den Schierlingsbecher zu leeren als mich der Strafkolonie zu ueberantworten, wird ins Unermessliche wachsen. Die Fussnaegel werden sich mir ins Fleisch krallen.
Dann werde ich weiteren drei Behoerden Briefe schreiben, wieder an Maschinen-Zoombies, wieder an tote Seelen. Wieder werden sich Schnarchnasen goldene Hintern verdienen, weil ich eine Nummer und ein Vorgang bin. Ich werde erklaeren muessen, weshalb ich eine Frau liebe, weshalb nicht eine aus der Heimat, und wie ich mir ueberhaupt vorstelle, als Ueberfluessiger und Unnuetzer fuer die Unkosten einer Muse aufkommen zu koennen. Ich werde mein Innerstes entbloessen, und mich wird die Lust ueberkommen, zu einer Konterrevolution aufzurufen; ich werde Terrorsiten beneiden, die glauben, dass im Paradies auf jeden Irren 70 Jungfrauen warten.
Unmd ich werde an an den grossen Flaubert denken:
„Ich empfinde gegen die Dummheit meiner Epoche Hassfluten, die mich ersticken. Es steigt mir Schei … in den Mund wie bei einem verklemmten Bruch. Aber ich will sie behalten, sie eindicken und daraus einen Brei machen, mit dem ich das 19. Jahrhundert beschmieren werde, wie man die indischen Pagoden mit Kuhfladen vergoldet.“

Themen: Tour de Wolga

Ein Kommentar to “Vorfreude”

  1. o schreibt:
    11th.Dezember 2010 um 16:15

    ich „liebe“ deutsche behörden! nicht weniger als die russischen!

Kommentare

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