Charkow ist keine Reise wert

Welch ein Rätsel. Ein „Luftbürger“ fliegt in eine moderne europäische Großstadt und berichtet, diese Stadt sei nicht Tschernobyl, aber doch irgendwie krank. Der „Luftbürger“ soll „einer der einflussreichsten Intellektuellen Deutschlands“ sein. Es handelt sich offenbar um den idealen Vertreter einer Scheinwelt.
Er sieht beim Anflug von Charkow einen Friedhof, zwei Häuser, ein Auto und einen Bus. Der Friedhof, so scheint es ihm, sei verlottert, das Auto eine Schrottkiste, der „Bus zum Flughafen-Gebäude“ aber „Kindergarten-fröhlich angemalt und mit vielerlei Werbung tapeziert wie fast überall sonst“.

Alles kaputt, nur die Reklame glänzt. Welch ein Schock. Der Luftbürger hat beim Anblick des Busses „die Narben von zweiundsiebzig Jahren Sowjetunion auf der Kinderhaut des geduldig expandierenden globalen Kapitalismus“ gesehen. Zwei Sätze später gelangt er zu der steilen These, es werde „noch lange dauern, bis ein Flug nach Charkov kein Flug mehr in eine vergessenswerte Zeit“ sei.
Noch vor der Zollkontrolle hat Charkow keine Chance mehr, in irgendeiner Weise Interesse zu erwecken, keiner der 1,5 Millionen Charkower Bürger wird mit einer Silbe erwähnt. Wie die Reise weiterging, erfährt man nicht.
„Was ich in Charkow sehe“, schreibt der Luftbürger, sei „nicht ganz so schockierend als ein Bild vom Ende der Welt wie die Photos der zerfallenen Schaltzentralen von Tschernobyl (gewesen) – aber eine Narbe auf der Haut der Gegenwart bleibt es allemal“.
Nicht ganz so schockierend wie Tschernobyl, wie beruhigend. Was kann der arme Kerl erlebt haben? Was sind wohl „zerfallene Schaltzentralen“?

Man staunt, der Verfasser ist ACHTFACHER Ehrendoktor in SECHS Ländern. Er „assoziiere intellektualistisch“, er liefere „intellektuelle Momentaufnahmen“, heißt es. Prost Mahlzeit, was für ein Geschwafel.
Wie gut, dass ich mit dem Milieu nichts zu tun habe, in dem solche Luftblasen standesgemäß sind.

PS: Dass „Ukrainisch die uns vertrauten lateinischen Buchstaben verwendet“ ist natuerlich hausgemachter Bloedsinn.

Lesetipp: FAZ, 19.05.2011:
http://faz-community.faz.net/blogs/digital/archive/2011/05/18/eine-narbe-auf-der-haut-der-gegenwart.aspx

Fotos: Schein in Russland, Saratow 2008

Themen: Russland - Ukraine

2 Kommentare to “Charkow ist keine Reise wert”

  1. Andere Ukraine Blogs Teil I schreibt:
    3rd.April 2013 um 08:58

    […] D. Brumme, schreibt viel über Russland und Ukraine.Beste Artikel:- Berlin in der Ukraine- Harkov ist keine Reise wertManko: Teils zu kurze Artikel, welche zum Weiterlesen immer auf Zeitungen und Co […]

  2. Andere Ukraine Blogs Teil II schreibt:
    5th.November 2013 um 22:15

    […] und Essayist Christoph D. Brumme, schreibt viel über Russland und Ukraine.Beste Artikel:- Harkov ist keine Reise wertManko: Teils zu kurze Artikel, welche zum Weiterlesen immer auf Zeitungen und Co […]

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