Schein und Wirklichkeit (2)

Der Schein entwirklicht die Wirklichkeit, er mildert sie ab, er ist ein Fetisch, in ihm überwindet der Mensch Raum und Zeit und schwebt körperlos über den Dingen. Das Selbst liebt im Schein sein Bild.
„Wir haben den Sozialismus / die Demokratie / die beste / fortschrittlichste aller möglichen Welten erreicht.“
Wer spricht da, welche senil-konfuse Gemeinschaft? Selbst wenn dieses oder jenes politische System erreicht wäre, was hilft es mir, dem Einzelnen?

Der Schein, ganz profanisierter Himmel, saugt die Hoffnungen auf, er bietet Wünsche an, er lenkt und leitet, verordnet Fröhlichkeit, verdrängt den Tod, leugnet die Möglichkeit des Scheiterns. Seine Wirklichkeit erscheint ihm als wahr. Der Schein entwickelt sich zur Totalität, er bestimmt alles, er beansprucht das Gewaltmonopol, er verspricht, jede Handlung gerecht beurteilen zu können.
Er ist eine Ware, deren Wert beständig gesteigert werden muss, weil ihr Wert ständig sinkt.

Der Schein will die Wirklichkeit bestimmen, um die Bilanzen zu schönen, um besser zu scheinen. Er beherrscht die Kunst, Luft zu buchen, mit Worten zu handeln, er kann sich verflüssigen und in Form von Tabletten dargereicht werden. Er kann singen und reden. Jeder kann sein Wachstum beobachten, keiner sich ihm entziehen. Der Schein verteilt Nummern, er verziffert das Gehirn.

Themen: Essays

Ein Kommentar to “Schein und Wirklichkeit (2)”

  1. Anonymous schreibt:
    28th.Mai 2011 um 15:32

    Darf ich es einfach oder sogar primitiv kommentieren? Primitiv aber positiv: diese Betrachtungen über Schein und Sein gefallen mir.

Kommentare

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