Nutzpflanzen – und Zierpflanzenbesitzer (Notizen 1)

In ukrainischen und russischen Dörfern versorgen die meisten Menschen sich selbst mit Nahrung. Zucker, Brot und Salz werden gekauft, auch Bier und Zigaretten, ansonsten weckt man die Früchte des Gartens ein, vor allem Pilze, Kirschen, Gurken und Tomaten.
Man erntet die eigenen Kartoffeln, stellt den eigenen Wein und Hausschnaps (samagon) her. Zum durchschnittlichen Haushalt gehören Hühner und Enten, Schweine, manchmal eine Kuh, manchmal eine Ziege, mindestens zwei hysterische Hunde. Der gefährlichere der Hunde ist nahezu immer angekettet, läuft im Kreis und würgt sich zum Millionsten Male mit dem Halsband, er hat sich den Hals schon wundgescheuert und springt noch immer Richtung Freiheit. Der kleinere hat die Aufgabe, zu kläffen und beißwütig vors Tor zu springen, falls ein fremder Zweibeiner sich nähert.
Nur nachts ist es manchmal still. Tagsüber rattern Traktoren durchs Dorf, neunjährige Knaben und neunzigjährige Großväter fahren auf Mopeds durch Schlaglöcher, oft mit schwerer Ladung auf dem Rücksitz. Motorräder, die schon im Großen Vaterländischen Krieg gedient haben, überholen chinesische Skooter, die zwei Monatslöhne kosten. Man hört, wie Sensen gewetzt werden, jemand treibt eine Kuh in den Stall, Kinder lachen oder schreien, Pferdehufe schlagen aufs Pflaster und wieder bellen die Hunde.

In deutschen Dörfern ist das größte Haustier zumeist die Katze. Sollte jemand einen Hund besitzen, so frisst der Büchsenfutter und schläft im Wohnzimmer, er wird zum Hundefrisör gefahren und zum Tierarzt. Die Autos summen, sie scheinen sich für ihr leises Geräusch entschuldigen zu wollen. Viele Türen öffnen sich geräuschlos, wenn man nur den kleinen Finger vorstreckt. Kinder sieht man selten. Störend sind oft die Baugeräusche. Jemand sägt Holz oder Steine für die Verschönerung eines Weges, jemand bohrt stundenlang Löcher in eine Wand, um ein Klettergerüst für betrunkene Partygäste zu errichten. Die meisten Tätigkeiten, meint man als Betrachter, dienen dem Vertreiben der Langeweile.
Spätestens acht Uhr abends werden in deutschen Dörfern die Bürgersteine hochgeklappt, es wird Fernsehen geguckt, man verlässt das Haus nicht mehr. Ohnehin fördert die Stille im Dorf die Müdigkeit, und wer Geräusche macht, der wird auch beobachtet. Bevor man sich besucht, kündigt man sich mit dem Telefon an. Gute Beziehungen zu Nachbarn sind möglich, aber nicht nötig.

Lesetipp: http://ukraine-nachrichten.de/nutzpflanzen-zierpflanzenbesitzer_3225_meinungen-analysen_nachrichten

Themen: Russland - Ukraine

3 Kommentare to “Nutzpflanzen – und Zierpflanzenbesitzer (Notizen 1)”

  1. Nadja schreibt:
    26th.August 2011 um 19:17

    Klasse! SEhr genau beobachtet. Aber – wieso gibt es in deutschen Dörfern keine Tiere außer Katzen? Wo sind denn die Kühe und sonstige Lebewesen – ich habe sie im Fernsehen gesehen, Ehrenwort!

  2. Jens schreibt:
    27th.August 2011 um 09:08

    Einfach super und 100% Zustimmung! Sehr schön beobachtet und erstklassig formuliert. Und genau darum lebe ich jetzt in einem ukrainischen Dorf und passe mich DIESER Lebensweise an. Habe auch Hühner, Gänse, Karnickel und Ziegen und eigene Kartoffeln. Nur mein Hund liegt nicht an der Kette und hat sein Bett auch im Schlafzimmer. 😉

    @Nadja: Das Nutzvieh zählt ja nicht zu den Haustieren. Wir lebten in Deutschland ein Jahr auf einem Hof mit 100 Kühen und können das hier geschriebene bestätigen. Ist schon eigenartig, wenn die Bäuerin die Milch abgepackt kauft und nicht die eigene nimmt, das könnte ja die Einnahmen gefährden… 😉

  3. Honigdachs schreibt:
    27th.August 2011 um 11:19

    Warum kaufe ich Kirschen, obwohl in meinem Garten welche wachsen? fragte mich kürzlich ein Freund aus einem dt. Dorf.

Kommentare

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