Im Krankenhaus

Ich wusste immer, dass ich ein schlechter Zeuge bin, vor allem hier, in der Ukraine und in Russland. Ganz unverschuldet gelte ich als ein besonderer Gast. So auch heute im Krankenhaus.
Von außen betrachtet ist das Gebäude so hässlich und alt, dass man als Kranker eigentlich nur weglaufen möchte.
Innen stolpere ich zunächst über eine Eisenschiene, die aus unverständlichen Gründen im Boden eingelassen ist, wohl um diejenigen, die sich ein Bein gebrochen haben, zum Hüpfen zu verführen.
Besonders skurril: das Gitter vor der Apotheke. So viel Sorgfalt für solch ein überflüssiges Hindernis!
Jura begleitet mich und bringt mich gleich zur Oberärztin, der Schwägerin des Bürgermeisters. Als sie hört, dass ich die Schmerzen im rechten Unterbauch schon seit 2-3 Wochen habe, meint sie gleich, dass es dann wohl keine Blinddarmentzündung sei. Sie führt mich ins Nebenzimmer, wo erst zwei, dann drei Ärzte eine Ultraschalluntersuchung vornehmen und den Bauch abtasten. Es folgen weitere delikate Untersuchungen, die ich nicht schildern möchte; Blut wird abgenommen, Urin muss ich abgeben, schließlich wird mir das tröstliche Ergebnis mitgeteilt: Es handelt sich um eine Kolik, ich habe Steine bzw. Sand im Darm oder sonstwo.
Fünf Ärzte senken ihre gelehrten Häupter über meinen ängstlichen Körper, aber bezahlen darf ich die Arbeit nicht. „Vollkommen unmöglich! Wie können Sie nur?“. Im Gegenteil, zwei der Ärzte laden uns ein, mit ihnen die Mittagspause zu verbringen, da wir doch ohnehin auf die Laborergebnisse warten müssen.
Besonders überrascht mich ein 73jähriger (!) Arzt, der die Hände eines 10jährigen Jungen hat: weich, klein, sauber. Ich kann die Augen gar nicht von diesen Händen lösen. Auch Jura sind sie aufgefallen, er vergleicht sie später mit denen eines Juweliers.
Der Arzt erzählt, dass er so gut wie nie Alkohol trinke, höchstens mal zu Neujahr ein Gläschen. Alkohol versetze ihn nicht ihn Euphorie. Nur das Rauchen sei sein Laster.
Nach einer Weile kommt das Gespräch auf die gegenwärtigen Verhältnisse. Er schimpft auf die Diebe, die Oligarchen, und lobt das Volk, das nur arm, aber doch gut sei.
Ich stimme natürlich aus ganzem Herzen zu. Aber wie könne man die Verhältnisse ändern?
In siebzig Jahren, meint er, bestehe Aussicht auf Gerechtigkeit. Die Enkel oder Urenkel könnten es besser machen.
Ich bekomme Tabletten und den Ratschlag, viel zu trinken, vor allem Bier, Kwas und Kognak, von letzterem allerdings nur 150 Gramm täglich. Und bitte keinen Wodka. Wo kann der Unterschied zwischen Wodka und Kognak liegen? Sollte der eine treibend, der andere verstopfend wirken?

Mir ist es egal, denn ich bin einigermaßen gesund. Also muss gefeiert werden. Ich leiste mir choroshy Kognak, den mit fünf Sternen. Gäste haben wir auch, darunter einen Offizier aus Russland, der in Dagestan dient und mich dorthin einlädt. Verführerische Möglichkeit. Dort herrscht zwar ein unerklärter Krieg, aber über Radfahrer aus Deutschland lachen ja sogar bekiffte Kindersoldaten im Kongo.
Der russische Krieger erklärt gleich im zweiten Satz, er komme aus dem dur dom, aus dem Irrenhaus. Potshemu Rossia dur dom?, frage ich.
Der Lehre nach sollte doch zumindest ein Offizier, der satte 2000 Dollar Sold im Monat erhält,  sich staatstreu äußern.
Weil es keine staatlichen Strukturen gibt, sagt er. Weil man sich auf niemanden verlassen kann.
Danke, das reicht. Ich lasse mich lieber von den weiblichen Gästen umgarnen. Man schätzt mein Alter auf 30 – 35. Das hört man doch gern, wenn der 50. Geburtstag bevorsteht. Obwohl ich solche Aussagen ja auch als Beleidigung auffassen könnte – habe ich denn gar nicht gelebt? Die ehrliche Antwort müsste lauten: Ich habe mich durchgemogelt und viel geschwiegen. Reden bringt nur Falten und Sorgen.

Themen: Tour de Wolga

4 Kommentare to “Im Krankenhaus”

  1. Jens schreibt:
    4th.Juli 2012 um 22:57

    Das nenne ich doch Ärzte! Verschreiben Bier, Kognak und küssende Mädchen? 😉 Keine Praxisgebühr, geschweige denn Arztgebühr? Der Osten ist ja sooo schlecht…. Ach Christoph, wir sind froh, dass es so gute Medizin für Dein Leiden gibt. Genieße sie!

    Liebe Grüße aus dem (aktuellen) Gurkenkonservierungskombinat,
    Jens

  2. Katja schreibt:
    5th.Juli 2012 um 20:18

    gabs die 150 gramm kognak pro tag auch auf rezept? paradisisch 😉

  3. Honigdachs schreibt:
    10th.Juli 2012 um 18:45

    Ja klar gibt es den Kognak auf Rezept, man trinkt ihn auch gleich im Krankenhaus, Aerzte und Schwestern lassen sich auch gern einladen bzw. wissen, wie man Kranke bewirtet.

  4. Stefan Rausch-Böhm schreibt:
    23rd.Juli 2012 um 16:28

    Lieber Christoph Brumme, habe soeben den blauen elefanten beendet und bin gut gelaunt.(letzte fahrradtour orleans-bordeaux 1984). ich werde das buch an gudrun wolter weitergeben. sie ist redakteurin beim wdr/tv. Vielleicht gibts dort geld für den geplanten dokumentarfilm.
    Beste Grüße!

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