Das ukrainische Trauerspiel

Julia Timoschenko ist schon lange tot. Sie schmecke gut, ihr Fleisch sei zart, sagt Jens.
Im Moment interessiere ihn, „ob unsre Angela M. heute ordentlich begattet wurde“.
Julia und Angela, das sind Ziegen. Und Jens ist ein ehemaliger DDR-Bürger, der heute am Dnjepr in der zentralen Ukraine lebt. Offenbar bereitet es ihm heftiges Vergnügen, seinen Ziegen Taufnamen angesehener Politiker-Frauen und –Männer zu geben.

Einen Janukowitsch-Bock gibt es nämlich auch. Dessen Charakter, meint Jens, habe er noch nicht ergründen können. El Presidente schweige meistens, stehe steif in einer Stallecke, spiele nicht mit den anderen, fühle sich erhaben, trete den Weibern – wohin, das sagen wir lieber nicht.

Wir sprechen und sehen uns über das Bildschirmtelefon Skype, beide in der Gewissheit, dass unsere NSA-Stasi-Akten nun um einige Bytes erweitert werden. „Nicht schwatzen, es hilft dem Feind!“ – diese Mahnung ließ Genosse Stalin in der Sowjetunion plakatieren, nachdem die Deutschen im Herbst 1941 den Dnjepr überschritten hatten.
Die Sklavensprache hat man uns in die Fontanellen gedrückt, als wir noch gar nicht sprechen konnten.
Angela M. ist nach unserer Meinung eine Gehilfin des Big Brothers. Raketen-Angela tat bis gestern so, als hätte sie noch nie von dem „Raketen-Abwehrschild“ gehört, den Big Brother entlang der russischen Grenze errichtet möchte. Im neuen Koalitionsvertrag mit der SPD wird jetzt immerhin die Absicht bekundet, einen Dialog mit Russland über die Raketenabwehr zu führen und ein neues Wettrüsten in Europa zu verhindern. Schließlich habe der Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan gezeigt, dass die Zusammenarbeit zwischen der NATO und Russland möglich sei und im beiderseitigen Interesse liege. Eine späte Erkenntnis.

Was würde sich mit der Unterzeichnung des Assoziationsvertrags mit der EU für die Menschen in der Ukraine eigentlich ändern? Vielleicht stimmt es, was der ukrainische Premierminister Asarow mitteilte – mit der Unterzeichnung des Assoziationsabkommens mit der EU „müssten die Heiz- und Wassertarife erhöht und die Löhne und Renten dürften nicht mehr erhöht werden“.
Vielleicht stimmt das aber auch nicht, schließlich behauptete Asarow ebenfalls, die russische Regierung habe für den Fall der Nichtunterzeichnung niedrigere Gaspreise angeboten, was diese dementiert.
Eine Untersuchung der internationalen Wirtschaftsagentur Bloomberg hat jedenfalls ergeben, dass „durch die Aussetzung der Gespräche bezüglich des Assoziierungsabkommens mit der EU sich die finanziellen Risiken der Ukraine in beträchtlichem Umfang gesenkt (haben).“

So ist es kein Wunder, dass die ukrainische Nation diesmal tatsächlich gespalten ist. Aber nicht in Ost und West, in russische und ukrainische Sprachgebiete, sondern eher in jung und alt, in reise- und veränderungswillige und ängstliche und nostalgische Menschen. In Kiew demonstrieren die Studenten aus allen Landesteilen auf dem Platz der Unabhängigkeit und dort sind keine Fahnen irgendwelcher Parteien zu sehen, sondern nur die der EU und der Ukraine.
Allein wenn die in der EU üblichen Hygienevorschriften in der Ukraine eingeführt werden würden, müssten viele Menschen hungern. Menschen wie Jens und seine Frau Ludmila dürften die eigenen Tiere nicht mehr schlachten, sie müssten mindestens einen staatlich beglaubigten Veterinär in den Stall holen und ihn bezahlen.
Andererseits wollen viele Ukrainer nicht mehr Europäer 2. Klasse sein, sie wollen ihr Menschenrecht wahrnehmen, dorthin reisen zu können, wohin sie wollen, ihre Verwandten besuchen, ohne ihre „Rückkehrwilligkeit“ mit Dutzenden Dokumenten beweisen zu müssen.
Wie lächerlich die Anti-Visa-Politik der EU-Länder dabei ist, versteht man, wenn man die Schleichwege kennt, auf denen man die Staatsbürgerschaft eines EU-Staates kaufen kann. Während die Zeitungen melden, dass solch ein Papierchen in Ungarn / Zypern / Malta / Lettland mindestens 120.000 Euro koste, weiß in der Ukraine jeder, der es wissen möchte, dass man dafür nur 500 Euro bezahlen muss, maximal 1000 Euro, wenn man den ach so gründlich geprüften Vorgang beschleunigen möchte.

Die ukrainische Tragödie kann man, kurz gesagt, so beschreiben: Treffen sich drei Falschspieler und sagen, sie wollen ehrlich um das Schicksal ihrer Völker pokern. Angela M. verschweigt, dass die EU an der Ukraine vor allem als Absatzmarkt ein Interesse hat und dass man nebenbei „den bösen Putin“ ein bisschen ärgern möchte. Djadja Botox, Onkel-Ich-möchte-so-jung-aussehen-wie-Berlusconi, Владимир Владимирович Путин, tritt wie so oft als Rüpel auf, er verbietet die Einfuhr ukrainischer Schokolade (Roshen), weil diese angeblich seinen Landsleuten schade. Zuvor war es georgischer Kognak, dann moldawischer Wein, vor dem er „sein Volk“ beschützen wollte.
Wer den großrussischen Chauvinismus („Die Ukrainer können nicht ohne uns existieren“) einmal aus der Nähe erlebt hat, wundert sich über das Verhalten nicht. Zumal wenn man bedenkt, was Big Brother einmal versprochen hat – keine NATO-Osterweiterung, „Gemeinsames Haus Europa“, Ende der Geschichte, Friede, Freude, Eierkuchen.

El Presidente, der Kosaken-Ataman, hat vielleicht als einziger Spaß an dem Spiel. Schließlich wirbt man um ihn wie um eine Braut, die gerade zur Miss World gewählt wurde und zudem noch einzige Erbin eines sagenhaften Vermögens ist. Lächelnd sagt er vor den Kameras, dass er ebenfalls „sein Volk“, seine ukrainische Familie beschützen wolle – vor Arbeitslosigkeit und den erniedrigenden Spielbedingungen des IWF und der EU. So treibt man den Preis in die Höhe.

Ach ja, und da ist noch die Nebenfigur Julia, die Verdiente Diebin des Volkes, die so gerne hungert, was weder ihrem Rücken noch dem Vaterland schadet. Hüllen wir den Mantel des Schweigens über sie, da sie zu oft schon als Jeanne d’Darc aufgetreten ist, während alle Welt rätselt, wohin sie die x Milliarden Dollar geschafft hat, die sie nach Auskunft auch der westlichen Medien beiseite geschafft hat. In ihrer Vermögenserklärung gab sie im letzten Wahlkampf an, nur über Bargeld von 300.000 Euro zu verfügen und nur eine 50m2-Wohnung zu besitzen. Die Arme. Immerhin war diese Aussage im Wahlkampof ein Running Gag und hat ihr vielleicht den Wahlsieg gekostet.
Über eine weitere Nebenfigur, Witali Klitschko, kann man ebenso wenig sagen. Sicherlich scheint er ein ehrlicher Typ zu sein, aber seine einzige aufsehenerregende politische Rede stand unter dem Motto, „Ich war schon immer lesbisch“.

Die Sieger dieser Pokerpartie sitzen nicht mit am Tisch. Es sind, flapsig gesagt, die Chinesen und die Araber. „Mit ihrem Reichtum an fruchtbarer Schwarzerde ist die Ukraine dabei neuerdings ins Blickfeld Chinas gerückt, das bemüht ist, im Ausland über Beteiligungen an Agribusiness-Unternehmen seine Versorgung sicherzustellen“, berichtet die Neue Züricher Zeitung von einer Wirtschaftskonferenz in Kiew. (Sogar die russischen Karikaturisten lachen schon.)
Oleg Bachmatjuk, ein ukrainischer Großunternehmer mit verzweigten Interessen in der Landwirtschaft, befinde sich in Gesprächen mit Partnern aus China sowie dem Mittleren Osten, die in milliardenschwere Deals über Getreide- und Fleischproduktion münden könnten.

Jens hat sich schon damit abgefunden, künftig kein Europäer 2. Klasse, sondern Chinese 1. Klasse zu sein. Er hat sich erst letzte Woche einen Heizofen gebaut, den er mit Holz befeuern kann, statt die irrwitzigen Gaspreise bezahlen zu müssen. Und er meint, dass Problem mit den Straßenhunden wäre dann auch bald gelöst. Die sollen doch gut schmecken, so wie Julia Timoschenko und Angela M.

Foto: Denkmal in Poltawa. Inschrift: „Der ewige Ernährer des ukrainischen Volkes“

Themen: Russland - Ukraine

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