Volksaufstand in der Ukraine (3)

El Presidente reist nach China und bittet um Anschluss an das Reich der Mitte. Zu Hause brennt die Hütte, und der Herr verreist! – Das Parlament hat den Misstrauensantrag gegen die Regierung abgewiesen. – Die Revolution geht weiter.

Wette verloren

Wenn ich das grad richtig verstanden hab…dann will Janik heut tatsächlich nach China“

Ja, ich bin auch verblüfft. Habe meine Wette verloren. Gut, dass sie niemand angenommen hat. –
Was kann das bedeuten? Will er während seiner Abwesenheit die Revolution blutig beenden lassen, um dann die Verantwortung von sich weisen zu können?
Der heutige Tag wird ungeheuer spannend. Was wird die Abstimmung im Parlament ergeben?

Meine Erfahrung

„Dies vor allem deshalb, da die Meisten von uns die hier schreiben ja einen Bezug zur Ukraine haben, welcher den wirklichen Alltag und das Leben der Menschen vor Ort nur begrenzt widerspiegelt. (Mich eingeschlossen!) Da spielt es sicherlich keine Rolle ob jemand in den letzten Jahren 10, 20 oder 30 Mal in der Ukraine war. Es waren und bleiben Besuche in einem Land, in welchem man selbst halt nicht lebt und nur zu Gast war/ist. Ganz anders bei den Residenten.“

Darf ich dir ganz kurz von meiner Erfahrung berichten? Ich bin im klassischen Sinne kein Resident, aber pro Jahr ca. 5 Monate in der UA. Seit 7 bzw. 9 Jahren. Dabei besteht meine Aufgabe nur darin, das Leben der Ukrainer zu erforschen. Ich gehe keiner Brotarbeit nach. Mancher Resident sieht oft lange Zeit auch nur paar Leute, Verwandte, Freunde.
Ich habe – auf Grund meines Berufes, auch einer gewissen Bekanntheit in der UA (2 Doku-Filme liefen über mich im TV, ich war als Gast im Kinder-TV) – das Privileg, Menschen aller Regionen und Bevölkerungsschichten treffen zu können und auszufragen, zu interviewen. Das sind natürlich nicht immer polit. Gespräche, ich sammle z.B. auch ukrain. Zungenbrecher.
Ich kenne wichtige Militärs, „hohe Tiere“, wie man so sagt, kenne viele Künstler, Schriftsteller, 2 Philosophen. Ich werde oft als Gast in Schulen, Altenheime, Krankenhäuser eingeladen. Ich bin Mitglied einer Bauarbeiterbrigade und zum Ehrenmitglied der Miliz ernannt worden (vor ca. 5000 Leuten bei einem Stadtfest).
Ich sage das nicht aus Eitelkeit, sondern um dir zu schildern, weshalb ich so urteile, wie ich es manchmal tue. Viele meiner Bekannten und Freunde bezeichnen mich nicht als Fremden oder Gast, dem man etwas verschweigen sollte, aus Höflichkeit oder warum auch immer. Sie sagen: Du bist einer von uns. Ich empfinde es als hohe Auszeichnung, dass man mir eine slawische Seele bescheinigt zu haben. –
Nun spekulierst du als Freund der Ukraine über die Ursachen der Massenproteste, aus der Entfernung. Den Alltag, sagst du, kennst du relativ wenig. –
Nun, als intimer Kenner der UA habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Wut der Menschen auf das polit. System in den letzten Jahren ungeheuer gewachsen ist. Auch der Milizionäre übrigens. „Wir werden uns nicht gegen das Volk stellen“, versicherten mir meine Kollegen, darunter auch Offiziere. Das verwundert nicht, wenn man deren offizielle Gehälter kennt, von anderen Problemen zu schweigen.
Seit 2 Jahren wird mir von bald bevorstehenden Hungerrevolten berichtet, Widerstand aus Hunger, verstehst du? Von einer neuen Revolution wird auch schon längere Zeit erzählt.
Insofern erstaunt es mich gar nicht, dass jetzt diese massenhafte Wut ausbicht. Janyk hat den Ukrainern 2 Jahre lang die Hoffnung gemacht, ja versichert, er werde die Türen zu Westeuropa öffnen, dann aber hat er sie im letzten Moment geschlossen. Und er hat von Geheimtreffen mit Putin berichtet. So entstand die Furcht, er könne von Putin „geschmiert“ werden, er habe vielleicht das Schicksal der Nation zum eigenen Vorteil verkauft.
Das war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Deshalb mein Ratschlag an dich, bitte, er ist nur höflich gemeint: Spekuliere nicht, ob die Proteste inszeniert seien und vergleiche sie bitte auch nur sehr vorsichtig mit der Orangenen Revolution.
Dies hier ist eine neue historische Situation.
Mit herzlichen Grüßen,
Honigdachs

Freunde!

„Aber was macht dich so sicher, dass Neuwahlen ein dir und den Protestierenden tatsächlich die Mehrheit bringen?
Und wenn die Partei der Regionen sich doch wieder – mit oder ohne J. – durchsetzt, was dann?
Ich bleibe dabei: Die Opposition muss mehr definieren als „Janukowitsch und die Regierung müssen weg!“
Was soll werden und wer soll es umsetzen? Und wie? In der jetzigen Opposition sehe ich keine solche Person. Und die politischen Äußerungen sind sehr diffus.“

In der gegenwärtigen Situation ist kaum etwas sicher. Sie ist gefährlich und doch eine ungeheuer große Chance, wie sich nicht jeder Nation geboten wird. Seht euch in der Geschichte um, seht euch den Verlauf klassischer Revolutionen an. Ich empfehle z.B. John Reed, „10 Tage, die die Welt erschütterten“ über die Oktoberevolution 1917.
Bitte nach der Lektüre keine kurzsichtigen Vergleiche ziehen, nach dem Motto, der Zar hatte schon Jahrhunderte regiert, es herrschte Krieg,
man wollte den Kapitalismus beseitigen, heute will man ihn allenfalls erträglicher gestalten.
In Revolutionen – ich bin inzwischen der Meinung, dies hier ist eine, egal, ob dazu aufgerufen wird oder nicht – passiert es oft, dass diejenigen, die sie auslösten, selbst von ihr überrannt werden, selbst ihr Opfer werden.
In der Großen Französischen Revolution wollten die Girondisten eine konstitutionelle Monarchie, d.h. Parlament mit König. Sie wurden abgelöst von den Jakobinern , die eine Terrorherrschaft „im Namen des Volkes“ errichteten, deren Opfer sie selbst wurden. Dann kam das Direktorium, das dann Napoleon stürzte und sich zum Kaiser ausrief. Nachdem Napoleon verjagt worden war, kam wieder die konstitutionelle Monarchie zurück, die man 1791 schon gehabt hatte.
Deshalb, bei allen Unterschieden zu den genannten Beispielen: Es muss nicht schlecht sein, dass diese Revolution noch keine charismatischen Führer hat. Aber Rückkehr zu den alten Zuständen von vor einer Woche erscheint mir auch unmöglich. Auch ein Wahlsiegt der Partei der Regionen, ob mit oder ohne Janyk. (Mit Janyk – scheint mir allerdings absolut unmöglich.)
Hier sind zu viele Kräfte beteiligt. Studenten, Kosaken, die Kirche, Künstler, Oppositionsparteien, hunderttausende anonyme Menschen. Zu viele Menschen haben ihre Ängste abgeworfen und spüren: die Chance, das ganze korrupte System loszuwerden, ist groß!
Was kommen wird? Wie man diese Revolution nennen wird? Wie gut, dass sie noch keine Farbe hat. Wie gut, dass sie nicht schnell instrumentalisiert werden kann wie die Orangene!

Themen: Russland - Ukraine

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