Paris, 1789 – Kiew, 2014

Historiker müssten angesichts des Volksaufstandes in der Ukraine dankbar sein. Er ist ein exzellentes Beispiel für das Verständnis der europäischen Geschichte.
Da sind die Rufe nach Brot zu hören wie 1789, der Protest gegen die goldenen Kloschüsseln des Präsidenten; da ist der emanzipatorische Gedanke der friedlichen Revolutionen von 1989  in den Ostblock-Staaten, den Vaclav Havel als „Versuch, in der Wahrheit zu leben“ bezeichnet hat; da ist das nationale Element – „Wir wollen nicht von Russland kolonisiert / gekauft werden, Freiheit für die Ukraine“ und da ist die Bereitschaft, Gewalt anzuwenden und unter Einsatz des eigenen Lebens gegen den bestehenden Unrechtsstaat zu kämpfen.

Es ist ein klassischer Aufstand gegen eine Tyrannei, der getragen wird „vor allem durch die sich erst jetzt bildende ukrainische Mittelklasse: Kleinunternehmer, Angestellte, Beamte, Facharbeiter – und sehr, sehr viele Studenten“. So beschreibt es der Chef der ukrainischen „Caritas“, Andrij Waskowycz. Die katholische Hilfsorganisation verteilt an die Demonstranten in Kiew warme Mahlzeiten. Die Studenten seien „aus Solidarität mit ihren Kommilitonen auf den Majdan gekommen, die in der Nacht zum 30. November von den Sondereinheiten der Miliz niedergeknüppelt wurden.“

Die russische und ukrainische Regierung werfen den EU-Politikern Scheinheiligkeit vor – „Warum verurteilen EU-Spitzenpolitiker die Besetzung ukrainischer Amtsgebäude und die Gewalt der Demonstranten nicht? Der Präsident sei doch demokratisch gewählt worden! Im Westen würden man das nicht akzeptieren.“
Diese Fragen sind leicht zu beantworten. Viele europäische Demokratien kamen gewaltsam an die Macht – im Gefolge von Revolutionen oder Kriegen, 1789, 1848, 1871, 1918. Die ukrainische und die russische Demokratie sind hingegen Kompromisse, sie wurden nicht erkämpft, sondern gingen aus formellen sozialistischen Demokratien hervor.
Aus westeuropäischer Sicht ist der Einsatz von Gewalt für Demokratie und Menschenrechte legitim, sollte er jedenfalls sein; nicht aber die Gewaltherrschaft. Zumal die Ukrainer sich auf das Recht auf Notwehr berufen können.

Zum Argument, der ukrainische Präsident sei demokratisch gewählt worden: Das wurde Hitler auch, das hat nichts zu bedeuten.
Außerdem stimmt es nicht. Die Wahlergebnisse waren grob gefälscht; nach der Wahl wurden Abgeordnete aus der Opposition „gekauft“; die Verfassung wurde zugunsten der Macht des Präsidenten geändert, das Parlament entmündigt.
Das Recht wurde vom Staat zuerst verletzt. Die Regierung hat den Gesellschaftsvertrag gekündigt.

Themen: Russland - Ukraine

3 Kommentare to “Paris, 1789 – Kiew, 2014”

  1. Revoluzzer schreibt:
    2nd.Februar 2014 um 23:05

    Ein Vergleich mit den Franzosen? Dann sollte auch die Guillotine erwähnt werden! Die war ein wirksames Mittel, Probleme zu lösen.

  2. Honigdachs schreibt:
    3rd.Februar 2014 um 09:02

    Ich fürchte, sie hat auch neue Probleme geschafft.

  3. Jensinski schreibt:
    3rd.Februar 2014 um 10:44

    Die Guillotine hat auf alle Fälle ein Zeichen gesetzt und Angst verbreitet, das ist wahr. Früher hat man auch Dieben die Hände abgehackt. Das schreckte zwar ab, trotzdem gab es weiterhin Diebe. Wir sagen, wir leben zivilisierter, man muss sich aber auch absichern können, dass diese Kleptomanie und Machtmissbrauch unter Politikern eingedämmt wird. Was könnte man denn heute als Abschreckung verwenden?

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