Journalistisches Lehrstück

Drei Monate lang hat „der Freitag“ die ukrainische Revolution als einen nationalistischen Konflikt dargestellt. „Radikale Kräfte“, Nationalisten und Neofaschisten, vom Westen bezahlt und aufgehetzt, wollen die vertrauenswürdige Regierung stürzen, so der Tenor. „Die Zukunft des Landes wird unter Aufsicht militanter Nationalisten ausgehandelt“, hieß es noch Mitte Februar.
Jetzt, nach dem Sieg der Revolution, titelt „der Freitag“: „Meine Ukraine – Marina Weisband über die Revolution auf dem Maidan„. Ein Drittel der Titelseite füllt das Gesicht Marina Weisbands auf dem Maidan.
Das Wochenthema lautet: „Die Ukraine sind viele – Bei den Protesten in Kiew waren sie alle: Studenten, Bürger, Arbeiter und Rentner. Jetzt aber kommt es darauf an, eine Radikalisierung zu verhindern.“
Wochenlang wurden die ukrainischen Studenten, Bürger, Arbeiter und Rentner „im Freitag“ als manipulierte Irre beschrieben und der anti-semitischen „Berkut“-Polizei des Ex-Präsidenten Janukowytsch wurde korrektes und angemessenes Verhalten attestiert.
Erhält der Leser eine Erklärung für diese doch gewöhnungsbedürftige Meinungsänderung? Schließlich werden Überschriften werden von Redakteuren formuliert, nicht von den Autoren. Nein, eine Erklärung folgt nicht.
Wohlwollend betrachtet, wird allenfalls ein Lehrstück in der Disziplin Selsbkritik ohne Selbstkritik aufgeführt.

Marina Weisband schreibt faktisch in ihrem Beitrag, dass „der Freitag“ bisher wie ein russisches Staatsmedium gehandelt hat. Sie haben „… die Präsenz des Rechten Sektors benutzt, um den Protest zu einem Nazi-Streich zu stilisieren und ihm damit seine Ligitimation zu nehmen. Sie zeigen die Radikalen, aber nicht die Studenten und Studentinnen, Senioren, Muslime, jungen Elter und Lehrer, die auch auf dem Platz stehen und gestanden haben. Die Gefahr des Rechten Sektors einerseits zu betonen und andererseits nicht unfreiwlliger Helfer von Propagandakampagnen gegen den Euromaidan zu werden, ist eine der größten journalistischen Herausforderungen ind er Berichterstattung über die Ukraine.“ Die Revolution sei als eine „urdemokratische Bewegung“ einzuschätzen.
Sie – gemeint sind „die russischen Staatsmedien“, aber die Beschreibung passt eben auch zur Berichterstattung im „Freitag“.

An dieser Stelle wäre ein Kommentar der Redaktion angebracht gewesen. „Auch wir haben geirrt, wir sind auf Fernsehbilder hereingefallen, Auslandsreporter können wir uns nicht leisten. Wir bitten unsere Leser um Enschuldigung für die gehässigen Berichte, die in den letzten Wochen von uns über tapfere ukrainische Rentner und Studenten geäußert wurden.“
Angesichts eines solchen Kommentars hätte man gerne seinen Respekt geäußert über die späte Einsicht. So aber ist man nur peinlich berüht.

Themen: Politik und Gesellschaft

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