Tour de Ukraina

Am 1. Mai werde ich von Berlin in die Ukraine radeln, vielleicht in den Krieg, vielleicht an die Front. Einige meiner Freunde leben in der Nähe von Slowjansk, 50 bzw. 80 km entfernt. Werde ich sie besuchen können?

Ich werde vor Ort entscheiden, wohin ich fahre. Eines weiß ich ganz sicher: Nach Russland werde ich nicht mehr reisen, so lange der kleine Diktator in Moskau regiert – und das wird er ja wohl noch einige Jahre, wenn nicht auf Lebenszeit.

Dieser Tage sagte mir eine meiner ehemaligen Studentinnen aus Saratow in Bezug auf die Ukraine: „Ich habe nicht genug Wissen, um anders denken zu können als ALLE Russen.“ Da wusste ich, dass ich als Dozent versagt hatte.

Mindestens genauso barbarisch aber äußern sich die meisten Deutschen, mit denen ich in den letzten Wochen über die Ukraine sprach. Besonders peinlich sind diejenigen, die mit Verschwörermiene raunen, sie hätten eine eigene Meinung – und dann folgen die üblichen Floskeln, dass die Krim ja eigentlich zu Russland gehöre, dass die USA ja im Irak … und all dieser Dreck.

9,9 von 10 Verständnis-Heuchlern waren noch nie in der Ukraine und kennen die einfachsten Fakten nicht. Da wird behauptet, die NATO habe der russischen Schwarzmeerflotte den Standort Sewastopol streitig machen wollen oder auf dem Majdan hätten die Demonstranten sich quasi selbst erschossen; natürlich demonstrierten dort 3 Millionen Faschisten etc. Pipapo.

Dass es in der Ukraine im vorigen Jahr 13 antisemitisch motivierte Überfälle gegeben hat, in Deutschland 1300 – interessiert nicht, ist nicht wichtig. Dass die Verständnis-Heuchler sich den Luxus erlauben können, frei ihre Meinung zu äußern, während man in Russland – wie Josef K. – für gar nichts verhaftet und für ein paar Jahre Gefängnishaft verurteilt werden kann – interessiert nicht, ist nicht wichtig. Dass die russischen Medien so dreist lügen, wie es das seit Jahrzehnten in der europäischen Politik nicht gegeben hat – interessiert nicht, ist nicht wichtig, weiß man nicht.

Ein Beispiel von heute: RIA NOVOSTI meldet, „‚Sammelpunkte für illegale Migranten‘, die in der Ukraine gebaut werden, ähneln nach Ansicht des russischen Außenamtes Konzentrationslagern aus der Nazizeit.“
Beweise? Keine.
Aber „das russische Außenamt äußerte Besorgnis über diesen Bau und vermutete, dass die Sammelstellen in Wirklichkeit für Andersdenkende aus südöstlichen Regionen der Ukraine bestimmt sind.“
Klar, die „faschistische Junta“ in Kiew hat jetzt nichts Besseres zu tun, als Konzentrationslager zu errichten. So schürt man Angst, so bereitet man den Krieg vor.

Und in Deutschland plädieren Zeugen des Sofas wie Jacob Augstein, der Westen sollte sich „aus diesem Konflikt zurückziehen, die Ukraine ist das Risiko nicht wert“.
Dass Jacob Augstein in seinem Käseblatt „der Freitag“ die Berkut-Mörder als vernünftige Polizei beschreiben ließ, während die auf ihrer HP antisemitische Propaganda betrieb – interessiert nicht, ist nicht wichtig, weiß man nicht.

Erschreckend ist, dass die Putinisten kein Ehrgefühl haben, dass sie gar nicht bemerken, wie peinlich ihre Feigheit ist, ob sie nun Götz Aly heißen – der in der „Berliner Zeitung“ beinahe wöchentlich behauptet, die Ukraine sei eigentlich kein Staat – oder Ingo Schulze, der in der Süddeutschen Zeitung die kindische Frage stellte, was wäre wenn auf dem Alex in Berlin eine Revolution wie auf dem Majdan stattfinden würde:

„Wie lange würden Demonstranten bei einer ungenehmigten Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz aushalten können, die den Sturz von Merkel und ihrem Kabinett (und am besten auch gleich noch von Gauck) fordern, weil Merkel nichts gegen die NSA unternimmt und maßgebend dazu beiträgt, dass Europa durch das Freihandelsabkommen mit den USA den Welt-Konzernen ausgeliefert wird?
Zudem fordern die Demonstranten, dass Edward Snowden, der letzte westliche Selbstaufklärer, einen Ort im Westen findet, an dem er unbehelligt leben kann. Unterstützt werden die Proteste mit Millionen oder Milliarden Rubeln und Yuan, und ab und zu tauchen der russische und chinesische Außenminister auf, verteilen Glückskekse und Pelmeni, applaudieren den Demonstranten und rufen unter der Weltzeituhr: Angela Merkel, deine Zeit ist vorbei!“

Man muss nur die wichtigsten Fakten vernachlässigen, um so naiv denken zu können.
Denn gültig wäre der Vergleich nur, wenn Herr Schulze hinzugefügt hätte: Was wäre wenn Angela Merkel ein paar Milliarden Euro aus der Staatskasse geklaut hätte und die Mindestrente in Deutschland 80 Euro betragen würde, wenn die Gesetze in Deutschland nicht für die Reichen gelten würden, wenn gleichzeitig in China und Russland alle sozial bedürftigen Menschen jederzeit vom Staat zumindest das Existenzminimum garantiert bekommen würden etc. Pipapo.

Tatsächlich ist der Artikel des Herrn Schulze ein Musterbeispiel für demagogisches Denken. Dass die USA  „seit der Unabhängigkeit der Ukraine fünf Milliarden Dollar investiert hätten“, um demokratische Institutionen zu unterstützen, erwähnt er, nicht aber, wie viel Geld Russland investiert hat, um eben dies zu verhindern und der Oligarchen-Kaste weiterhin ihre Macht zu sichern.

Kurz gesagt: Die Deutschen sind die Barbaren, sind arme Verblendete, die Ukrainer hingegen sind mehrheitlich bereit, für Freiheit, Brüderlichkeit und Gerechtigkeit zu sterben.
Die armseligen deutschen Putinisten verstehen nicht, dass in Zeiten des Krieges der Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge über Leben und Tod entscheidet.

Mein persönlicher Grund, Putin zu hassen: Dieser botox-gespritzte Psychopath hat mir die Krim geklaut, mein Sammelgebiet für Mosaike. Denn in diesem Jahr wollte ich zum ersten Mal auf die Krim radeln, so war es geplant.
Nun reise ich ins Ungewisse. Weiß Gott nicht mit den gleichen Glücksgefühlen wie in den sieben Jahren zuvor. Aber darf man seine Freunde in schlechten Zeiten im Stich lassen, wenn man in guten Zeiten gemeinsam gefeiert und getanzt hat?

Themen: Tour de Wolga

6 Kommentare to “Tour de Ukraina”

  1. Natascha Roemer schreibt:
    29th.April 2014 um 09:26

    Passen Sie gut auf sich auf! Sie sind gerade eines der wenigen Lichter im Dunkeln.
    Liebe Grüße, Natascha Römer

  2. Honigdachs schreibt:
    29th.April 2014 um 11:18

    Danke! Ich werde mich bemühen. Ich wünsche Ihnen ebenfalls einen schönen Sommer. CB

  3. Malte Lerch schreibt:
    29th.April 2014 um 22:55

    Hallo und alles Gute!
    Das habe ich ja mit meinem Sohn vor… Es wäre ganz toll, wenn Sie uns eine Hilfestellung für unser Projekt geben würden, denn wir wollen auch viel Aufmerksamkeit und Geld sammeln für ein Waisenhaus bei Kyiv. Wir kennen uns aber mit Ukraine nicht aus…
    Viele Grüße,
    Malte & Tim Dale

  4. Kai Ehlers schreibt:
    30th.April 2014 um 21:26

    Lieber Christoph,
    auch wenn wir einige der neueren Vorgänge anders bewerten – ich wünsche Dir, daß Du auf Deiner Reise auf die Menschen stößt, mit denen eine selbstbestimmte Zukunft machbar ist.

    Was wahr ist bleibt wahr: Rebellion ist geechtfertigt

    Viel Glück, Kai

  5. Festus schreibt:
    5th.Mai 2014 um 13:51

    Die normalen Ukrainer kämpfen täglich ums Überleben. Da bleibt keine Zeit um über Demokratie nachzudenken. Absoluter Schwachsinn was sie da beschreiben.

  6. Marco schreibt:
    5th.Mai 2014 um 15:48

    Bravo Herr Brumme! Sie sprechen mir aus der Seele.

Kommentare

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