Die Zerrissenheiten der Ukraine

Wie tief die Ukraine-Klischees in der deutschen Öffentlichkeit sind, wurde mir im Interview mit dem DR-Kultur klar, 2010 zur Fubball-EM. Ich freute mich wie ein Kind, aus der Ukraine berichten zu können, da sagt die Moderatorin, die Ukraine sei doch in Ost und West gespalten.

Ich widerpreche ihr. Sie meint, eine ukrainische Autorin habe ebenfalls von Spaltung gesprochen, und die Wahlergebnisse würden das doch auch beweisen.
Während sie spricht, denke ich: Die Autorin kommt bestimmt aus Lwiw. Nach dem Interview lese ich, was die ukrainische Autorin gesagt hatte. Sieh da, sie hatten nicht von einer Spaltung gesprochen, sondern von einer Regionalisierung! Das ist ein großer Unterschied! Und tatsächlich, die ukrainische Autorin kommt aus Lwiw. Dazu später.

(Entschuldigung, Frau Kollegin von DR-Kultur, es war nicht fair, Ihre These mit einem leicht abgeänderten Zitat zu unterstützen! Live ist live.
Manche Zuschauer vermuten, die Fragen werden vor dem Interview vereinbart. Werden sie aber nicht. Es werden zwei, drei Themengebiete abgesteckt, angedeutet, bevor so ein Interview beginnt. Und dann – zwei, drei, fünf Sende-Minuten, Zeit ist klostbar, das verstehe ich, deshalb will ich ja manchmal weg aus Deutschland.)

Was die Wahlergebnisse betrifft: Bis dahn hatte es in der Ukraine noch keine landesweite korrekte Wahl gegeben. Mindestens im Donbass waren die Ergebnisse immer stark gefälscht, zugunsten der Blauen, der Janukwitsch-Partei. Tatsächlich lag die Zustimmung für Janukowitsch selbst im Donbass bei höchstens 20 – 30 Prozent, dem Rest war dort alles egal. Solche Regionen gibt es aber auch in Zaporoshije, in Ushgorod, in der Umgebung von Tscherkassy – kurzum auf vielen Zeit-Inseln.

Auf Grund der starken Regionalisierung der Ukraine gibt es innerhalb des Landes kulturelle Gräben ud Spaltungen. Nicht einen Graben, nicht eine Spaltung, sondern viele. Wie in Deutschland auch. In Lutherstadt-Eisleben wird über andere Witze gelacht als in Bremen, über eine jeweils andere verlorene Vergangenheit geklagt.

Die politischen Unterschiede zwischen Mann und Frau, der „Mann-Frau-Graben“, ist in der Ukraine stärker als in Deutschland. Frauen verhalten sich abwartend und passiv bezüglich der Politik, mehrheitlich. Wenn nur die Frauen abstimmen würden, wäre jetzt kein Krieg.

„Die Breschnew-Zeit“ war besser als heute“ – das sagen auch im Donbass vor allem die Alten.

Zur Methodik meiner Erhebungen:
Ohne Immanuel Kant zu zitieren, aber die sinnliche Anschauung ist Voraussetzung der Urteilskraft! Willkürlich ein Parameter zur Beurteilung einer existentiellen Lage eines Landes auszuwählen und daran eine Spaltungs-Theorie aufzufädeln, wie unter Historikern mit Ukraine-Kenntnissen derzeit offenbar Mode, das ist kindisch.
„Die Sprache trennt das Land, nein, die Geschichte, nein doch die Sowjet-Nostalgik“ – wenn wir während meines Philosophie-Studium so über eine Kultur geredet hätten, wäre ich eingeschlafen.
Wie fantasielos.
Man liest drei Zeilen Nietzsche und will nicht mehr schlafen. Man hört einem deutschen Historiker drei Sätze zu und sucht den nächsten Box-Sack.

 

Themen: Russland - Ukraine

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