Nachtmusik
B., 20.09.2025
Unsere Nachtmusik wird von Drohnen und Anti-Drohnen-Waffen gespielt, witzelten wir gestern Abend. Meine Freunde sind schon hochqualifizierte Spezialisten im Deuten der Töne und Geräusche. Sie fachsimpelten über Flugbahnen (Richtung Dnipro, Richtung Pavlograd … Richtung Polen, spotteten wir). Einer kann aufgrund der Lautstärke besonders gut schätzen, in welcher Entfernung die Drohnen fliegen (gestern drei Kilometer) oder wo unsere Abwehrkräfte arbeiten. Auch nachts wurde heftig geballert, wie ich beim Gang auf die Toilette hörte. Ich verstopfe mir beim Schlafen ja immer gern die Ohren mit Ohropax, um den blödsinnigen Nachtlärm nicht zu hören. Aber die Schahed-Drohnen waren so laut, dass ich sie selbst durch die Ohrstöpsel hindurch hörte.
Gestern war dennoch ein gelungener Tag. Vormittags konnte ich schreiben und Schach spielen. Dann fuhr Tolik mit mir in die Schule zu den fleißigen Großmüttern – die mir eine Medaille mit einem Herzen überreichten. Weil ich angeblich so fleißig sei. (Nun ja, eigentlich stimmt es.) Mit den Frauen haben wir etwas Wein getrunken. Anatoli hat ihnen seine neuen Einschätzungen über die Entwicklungen an den Fronten erzählt. Die NGO versorgt ja mehrere Brigaden und Einheiten, so dass man ein dichtes Gewebe an „speziellen Informationen“ hat. (Siehe die vielen Auszeichnungen, Danksagungen und Urkunden, die sie schon bekommen haben!) Besonders beeindruckt hat mich eine wunderschöne ältere Dame, die kein Wort sprach, aber sehr sorgfältig die Schleifen für die Tarnnetze zerschnitt (siehe Foto).Überhaupt war es schön mit anzusehen, wie respektvoll die Frauen miteinander sprachen.
Draußen vor der Tür wartete Arbeit auf mich. Freunde von einer Spezialeinsatzbrigade brauchen dringend ein Auto – einen Kleinbus! Wir besprachen Einzelheiten. Ein Lehrer von der nahen Schule bat mich zwischendurch, zu den Schülern der 11. Klasse zu sprechen. Wir gingen zu der unterirdischen (!) Schule, wo die Schüler übten, Maschinenpistolen auseinanderzunehmen und zusammenzubauen.
Dann durften Anatoli und ich noch eine gute Tat vollbringen – einer kinderreichen Familie im Dorf einige Teddybären und Plüschtiere zu bringen; eine Abgeordnete aus Kyjiw hatte sie gespendet, wir waren nur die Boten.
Wieder Zuhause las ich die Nachricht, dass die NZZ meinen Artikel gestern schon gebracht hatte. Abends zeigte ich den Freunden die ukrainische Übersetzung, Sch.s Frau las den Text vor.
Serjosha hatte gekocht, wieder mit viel Liebe und Geschmack. Ich habe ihn gebeten, dass er mein persönlicher Koch wird, falls ich Millionär werden sollte. Anatoli meinte, Volontäre werden keine Millionäre, womit er natürlich recht hat. Und obwohl ich kein Millionär bin kocht er ja jetzt schon auch für mich.
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