Zum Fremdschämen
Im Kreml knallen die Krim-Sektkorken. Fein hat man die Westler wieder gegeneinander ausgespielt. Frieden um jeden Preis lautet die erträumte westliche Überlebensformel, die Massenmorde als legitimes Mittel der Politik einpreist. Die Aussicht auf gigantische Profite beschwichtigt das Gewissen, so man eins hat. Das „brillante Narrenspiel der Hoffnung“ (Jacob Burckhardt) betäubt die Sinne der „Unterwerfungspazifisten“ (Ralf Fücks), ob nun in Washington oder in Berlin.
Russland soll laut dem Putin-Trump-Plan versprechen, andere Länder künftig nicht mehr in die Steinzeit zu bomben. Falls es provoziert wird, darf es diese Vereinbarung brechen. Wobei man ja weiß, wie gut Russland im Provozieren ist.
Nichts ist leichter für die Moskauer Machttechniker, als mit dem Wunsch nach Frieden zu spielen. Zum Spiel gehört, dass man Verhandlungsentwürfe in die Öffentlichkeit „durchsticht“ und dann behauptet, die Dokumente nicht zu kennen. Oder dass man unerfüllbare Forderungen aufstellt, um die Schuld für das Scheitern von Verhandlungen der anderen Seite aufzubürden. Oder dass man sich ewig in Details verzettelt. Wer redet, kann weiter schießen, wer nicht redet auch.
In manchen Märchen muss ein Held drei Aufträge erfüllen, die scheinbar unmöglich sind, Steine zum Leben erwecken beispielsweise, aber er schafft alle Aufgaben und heiratet am Ende die Königstochter. Solche Märchenhelden können die Westler nicht sein, dafür sind sie zu zu reich und zu tolpatschig, zu gutgläubig und selbstverliebt. Um aufzuwachen aus dem Schlaf der Vernunft müssten sie zur Kenntnis nehmen UND verstehen, warum sie vom kollektiven Putin gehasst werden, warum der sie öffentlich als Satan beschimpft und dazu aufruft, sie zu töten.
Die kurze Antwort lautet: „Die Waffen des Westens haben mehr als eine Million Russen getötet oder zu Krüppeln gemacht!“ Das stimmt zwar nicht ganz (nicht bloß aus dem Westen stammende Waffen), aber der Glutkern des Hasses hat einen rationalen Kern.
Auch für Putin-Russland ist der Krieg gegen die Ukraine und den Westen (inzwischen) ein Kampf ums Dasein, um den Erhalt der Staatlichkeit, der Mafia-Clanwirtschaft und der Macht der Geheimdienst-Cliquen. Krampfhaft versucht die letzte Kolonialmacht auf Erden der Furie des Verschwindens zu entkommen, dem Absturz in die weltpolitische und ökonomische Bedeutungslosigkeit, der demographischen Katastrophe. Russland und sein Militär muss man fürchten, so der einhellige Tenor der Einpeitscher des Krieges, sonst wird es vom Ausland als Konkurrent nicht ernst genommen, aufgrund seiner miesen Softpower und seiner geringen ökonomischen Bedeutung im Bereich der Hochtechnologien und der Fertigprodukte (mit Ausnahme der Atomenergie-Wirtschaft).
Putin-Russland behauptet im Grunde zurecht, dass in einer friedlichen Welt seine Interessen nicht in ausreichendem Maße geachtet werden. Denn sein bevorzugtes Interesse ist die Ausübung brutaler Gewalt, falls es das Gefühl hat, dass seine Interessen nicht ausreichend geachtet werden. Auch Kriegsverbrecher haben Gefühle, fühlen sich gekränkt, wenn man ihnen ihre Verbrechen vorwirft, welche sie doch nur als Mittel zum Zweck ansehen, als Befreiungsaktionen und humanitäre Hilfe. Die Kränkungsbereitschaft hat strategisches Potential, sie motiviert die russländische Bevölkerung zur Selbstaufopferung.
Westler können wahrscheinlich nicht den Genuss verstehen, reichere und schwächere Länder zu zerstören und vom Präsidenten für Massaker an Zivilisten mit Orden geehrt und mit Prämien belohnt zu werden.
Inzwischen bekunde die Bevölkerungsmehrheit in Umfragen mehr Stolz auf ihr Land und weniger Kritik an den Machthabern als vor Beginn der Großinvasion in die Ukraine, vermeldet der Soziologe Lew Gudkow aus Moskau. (Siehe FAZ Kerstin Holm „Sie wittern überall ausländische Agenten“, 24.11.2025)
Als kurze kleine „Militärische Spezialoperation“ hat es begonnen, inzwischen ist es ein existenzgefährdender Krieg mit Hunderttausenden eigenen Toten – und immer mehr Menschen begrüßen die selbstzerstörerische Entwicklung. Die Gesellschaft in Russland habe eine „negative Identität“, so Lew Gudkow, Russlands bekanntester Soziologe, der vom Staat als „ausländischer Agent“ tituliert wird.
Kommentare geschlossen.