Gespräch mit einem betrunkenen Veteran
B., Oblast Charkiw, 22.08.2025
Der Freund ist besoffen und klagt: „Ich bin ein Nichts, mein Leben hat keine Bedeutung.“
Keine Floskel hilft gegen die offensichtliche Depression. Mindestens ist er doch für mich ein besonderer Mensch, hat er für mich eine besondere Bedeutung. Und jahrelang hat an der Ostfront „gearbeitet“, Feinde eliminiert, Kameraden gerettet, seine Nächsten und Menschen im Hinterland beschützt. Ein besonderes, einzigartiges Schicksal. Aber er empfindet es nicht so.
„Ich bin ein Nichts, weil ich nichts verstehe“, klagt er. Er verstehe die Zeiten nicht, nicht die Politik, nicht die Verhandlungen.
„Teurer Freund“, sage ich, „du glaubst vielleicht, dass andere Leute, etwa die Politiker die Zeiten verstehen. Aber da irrst du dich. Die verstehen ihre eigenen Entscheidungen auch nicht. Oft können sie nicht wissen, welche Auswirkungen ihre Entscheidungen haben. Und wenn sie sich einbilden es zu wissen, belehrt sie der nächste Tag eines Besseren oder Schlechteren. Die Wahrheit ist: Niemand versteht alles. Und wenn man nicht alles versteht, versteht man oft das Wichtigste nicht. Das ist natürlich ein deprimierendes Gefühl, als würdest du ertrinken oder ersticken.“
„Ich will nicht ertrinken, ich will mit dir fliegen“, sagt der Freund.
Na bitte, schon besser.
„Ich fliege mit dir überall hin“, sage ich, „wohin du willst“.
Er streckt die Arme aus und zeigt, wie wir fliegen werden, mindestens einhundert Meter weit, meint er. (Wobei er mir fast die Brille aus dem Gesicht schlägt, so nah vor mir streckt er seinen rechten Arm aus.)
Einhundert Meter, das klingt, als wolle er nach Hause fliegen.
Die anderen Freunde am Tisch lachen zuerst über seinen Wunsch, selbst zu fliegen. Sie haben nicht aufmerksam zugehört. Er will über dem See fliegen, an dessen Strand er Zuckerwatte verkauft und Katamarane vermietet. Er will, dass die Katamarane fliegen. Der See ist vielleicht dreihundert Meter lang. Wahrscheinlich ist die Idee des Freundes machbar. Er bastelt gern an Motoren und Maschinen herum. Neulich hat er sein Motorrad auseinandergenommen und wieder zusammengebaut. Dann hat er sich mal wieder besoffen und ist mit dem Motorrad nachts gegen einen Zaun gefahren.
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