Kohlearbeiter in der Ukraine – Lust auf Bier
Spätestens im Donbass, vor der Stadt Tores, verfluche ich mein Schicksal, das mich zum Radfahrer auserkoren hat. Ich fahre dreimal im Kreis durch ein Häusergewirr, dreimal an den gleichen verlassenen Garagen vorbei.
Schwarzer Staub, klebriger Schwamm – die Luft ist so giftig, dass mir rote Tränen aus den Augen fließen.
Um nicht schlechtgelaunt weiter zu fahren, genehmige ich mir ein Bier, setze mich vors Geschäft, strecke die Beine in die Sonne. Und weil das Bier so gut schmeckt, spüle ich gleich noch mal nach, mittags zwölf Uhr.
Boah, ich fühle mich jetzt wirklich als Held. Wenn die Leute dir jeden Tag einreden, dass du ein Held bist, glaubst du nach zwei Bierchen an dieses Märchen. Überhaupt, mit einem leichten Schwips, wie es im Damendeutsch heißt, macht so eine Radreise durch die Ukraine erst richtig Spaß.
Tatsächlich, ich steige als Optimist aufs Fahrrad. Der liebe Gott wird schon wissen, weshalb er mich hierher geschickt hat. Ich fahre an einer schwarzen Halle vorbei, höre Schürfgeräusche. Hier werden die Kohlen für das Feuer in der Hölle zerkleinert.
Ich steige vom Fahrrad, dann mit dem Fotoapparat in die Tiefe, jeder Schritt wirbelt Kohlestaub auf.
Der Brigadier guckt ziemlich streng. Er hält als einziger keine Schippe in den Händen. Die Schipper sind alle einen Kopf kleiner als er. Sie atmen den Staub ohne Maske ein, er steht fernab und treibt sie mit bissigen Lauten an.
Ich drücke ihm meinen höchsten Respekt aus für seine wertvolle, vernünftige und anspruchsvolle Tätigkeit. Er knurrt nach meiner Frage, ob ich die werten Kollegen fotografieren darf.
„Nicht lange“, schiebt er hinterher.
Ich halte drauf, rufe den Jungs zu – „Ihr seid doch einverstanden?“
Die, weil endlich einmal etwas passiert, nicken fröhlich.
„Habt ihr Lust auf Bier? Ich lade euch ein.“
Oh weh, da brüllt der Riese in meinem Rücken.
„Hier wird nicht gesoffen!“
„Mensch, Kumpel, die Jungs machen eine harte Arbeit, die haben noch nie einen Ausländer gesehen, die wollen auch mal Spaß haben!“ – „Rauchpause, Jungs!“
Ich bin noch nicht lange hier, schon bricht Anarchie aus.
Der Riese brüllt: „Hier wird Kohle für den Frieden verladen! Pausen werden nicht bezahlt“
Ich habe Lust, mit ihm politisch zu diskutieren. „Wieso Kohle für den Frieden? Für welchen Frieden? Für den von 1984? Hast du noch nicht gemerkt, Kumpel, dass wir nicht mehr im Zeitalter der Planerfüllung leben?“
„Wie heißt du?“, frage ich einen der schippenden Zwerge.
„Andrjuscha“, antwortet er.
„Hast du Lust auf Bier, Andrjuscha?“
Andrjuscha grinst. Ich habe sein Herz gewonnen mit meiner Frage. Ich trete so auf, wie er sich Gewerk- schaftsbosse wünscht – schwitzend, in kurzen Hosen, mit schwarzem Schleim in der Nase, außerdem menschlich nach den zwei Bieren. Er torkelt, ich torkle, wir erkennen einander. Dieses Autoritätsschwein müssen wir gemeinsam besiegen.
Die Schipper rauchen, einer schläft im Sitzen.
„Was ist mit diesem Kumpel los?“, frage ich Andrjuscha.
„Er kann heute nicht schippen, er hat gestern zu viel Vodka getrunken. Er bekommt nur zehn Griwna, statt hundert wie wir.“
Der Brigadier: „Jetzt aber Schluss mit dem Gequatsche! Arbeiten! Pausen werden nicht bezahlt!“ Und zu mir: „Sie Radfahrer, Sie verschwinden jetzt. Genug fotografiert!“
Na, ich bin nicht auf Streit aus, winke Andrjuscha zum Abschied, und bedanke mich beim großen Antreiber für seine freundlichen Erklärungen in Sachen Moral und Frieden, für seine lehrreichen Vorträge – und entfliehe seiner Stiefelspitze.
Der Deutsche hat UNSERE bei UNSEREN geheimen Tätigkeiten fotografiert, wird morgen die Flüsterpropaganda verbreiten.
Ich habe mein Fahrrad gerade über mehrere Bahnschienen getragen, da pfeift Andrjuscha in meinem Rücken. Ich rase ins Tal zurück, „Hej Andrjuscha, was ist los, Pausen werden nicht bezahlt.“
„Ins Geschäft kann ich gehen“, stöhnt er.
„Los, ich lade dich ein. Sag mir, was du möchtest.“
„Bier und Zigaretten.“
„Alles klar, bekommst du. Bist du verheiratet?“
„Nicht verheiratet, aber zwei Kinder. Teuer. Kohle viel Geld.“
„Euer Brigadier ist ein Idiot.“
„Ist er der Chef, bist du der Idiot, bist du der Chef, ist er der Idiot.“
„Genau richtig.“
Wir latschen ins Geschäft, er will zwei Zwei-Liter-Flaschen Bier, zwei Schachteln Zigaretten. Die Verkäu- ferin rechnet mit Hölzchen, ich zahle brav, und Andrjuscha, der Neger, kühlt seine Achseln. Die Welt scheint im Gleichgewicht, doch kaum sind wir auf der Straße, da steht der Brigadier vor uns.
„Andrjuscha, was habe ich dir gesagt? Kein Alkohol! Während der Arbeit wird nicht getrunken, auch nicht mit diesem Deutschen.“
Andrjuscha krümmt seinen Rücken, sinkt in den Staub. Wie einen Vater guckt er den Riesen an. Die Flaschen hält er aber fest in den Händen.
Mir gibt der Brigadier auch noch einige strenge Worte mit auf den Weg: „Sie können nach Feierabend mit den Kohlearbeitern reden! Dann können Sie auch fotografieren und Bier trinken!“
Andrjuscha winkt noch mal zum Abschied.
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