Fotografische Studien
So stelle ich mir das Lernen vor. Der Lehrer drückt mir einen Zettel in die Hand, mit der Bemerkung: „Ich stelle dir heute Aufgaben, und auf das alles musst du achten.“
„MOTIV
Gestalt Erkennen, Grundgerüst, Umrisse, das Schemenhafte
Muster Harmonie, Rhythmus
Form Volumen, Festigkeit
Farbe und Tonwerte Stimmung, Betonung
Bewegung Zeitfaktor
LICHT
Qualität keine bis harte Schatten durch Größe / Abstand der Lichtquelle
Richtung Breite / Länge / Richtung der Schatten Spiegelungen
Kontrast Unterschied zwischen hellster und dunkelster Stelle des Motivs
Gleichmäßigkeit das umgekehrte Quadratgesetz, Lichtformereigenheiten
Farbe Art der Lichtquelle, Tageszeit
Intensität bestimmt die Belichtung / Bildhelligkeit“.
Aha.
Der Lehrer zeigt auf eine Treppe. „Siehst du dieses Licht!“
Ausgerechnet auf dieser Treppe sehe ich gar kein Licht, nur ödes, pickliges Grau.
„Vielleicht von hier, vielleicht von da?“
Ich ahme den Lehrer nach, nichts weiter. Um ein Motiv zu finden, muss man sich nur im Kreis drehen, kluger Ratschlag. Das Licht spricht für sich selbst.
Wir fahren zum Wannsee, ich soll eine Skulptur fotografieren. Eine klare Abgrenzung dieses Objekts zum Gestrüpp und den Bäumen in der Umgebung scheint kaum möglich; der Versuch, die Farben der Bäume / der Wiese zum Thema zu machen, gelingt beinahe, würde aber, gelänge er, brav bleiben.
Die Anspannung hat sich aber aufgebaut, es bedarf wieder einmal des Muts, sich von den inneren Bequemlichkeiten zu lösen, auch von der Angst vor der Blamage, dann gelingt gewagte Blick, der rotzig-freche-eigene. (Foto 1)
Der Rest sind Studien. Ich habe versucht alle auf dem Merkzettel notierten Aspekte zu beachten.
Nach der Begutachtung am Computer gibt es Lob vom Lehrer. „Du hast deine Aufgaben erfüllt.“
Nun ja, ich habe mich auch ein bisschen durchgemogelt. Denn ob ich zum Beispiel das umgekehrte Quadratgesetz in der letzten Steinstudie beachtet habe, weiß ich nicht.
Aber die Lehrmethode behagt mir: Es werden höchste, möglichst unerfüllbare Maßstäbe aufgestellt, die, bei näherer Betrachtung, vor allem simpel sind, puristisch; erst in ihrer Einfachheit komplex. – Der Mut zum Weglassen, zur Reduktion, ist in der Fotografie elementar. Der blinde Laie will zu viel.
Es wird weiterhin das spielerische Probieren geübt.
Der Aspekt der Selbstbefragung ist wichtig. Erkenne die Situation! Was willst du mit diesem Bild zeigen? Welche Geschichte willst du erzählen? Welche Spannung baust du auf? Was betonst du?
Die vielen technischen Aspekte, die zu beachten sind … gruslig, gruslig, mühsam zu merken. Noch einmal die Grundbegriffe. Blende. Brennweite. Verhältnis der Zahl der Pixel zur Größe des Chips. Eigenheiten der Kamera (Ricoh GX 200), ihre Grenzen, ihre Möglichkeiten.
Der Lehrer ist, wie ich höre, erschöpft ins Bett gefallen nach neun Stunden Unterricht.
Studien am Wannsee:
Lehrer: Arne Reinhardt, Copyright Merkzettel
Arne Reinhardt, http://www.neue-schule-berlin.com/neueschule/content/arne_reinhardt
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