Das Ego im Feuer (5)

Die letzte Pruefung an diesem Tag: um einen ruhigen Schlafplatz zu finden, muss ich noch einen Berg hoch, der ist steil, liegt in der Abendsonne, d.h. das kalt gekaufte Bier wird sich erwaermen. Die Steigung schaetze ich auf 12 – 15%, ich fahre in Serpentinen, absteigen will ich nicht. 170 km am heutigen Tag, so werde ich morgen wohl zu einer freundlichen Zeit am Don eintreffen und mich bei Fjodor und Sina in der kuehlen Stube auf die Couch legen koennen.
Auf dem Berg nur kahle Flaechen, kein Waeldchen, und ich bin nicht einmal sicher, ob ich hier oder erst spaeter ueber die Felder rechts abbiegen sollte, obwohl die Beschreibung der Verkaeuferin im letzten Geschaeft ziemlich genau war. Die Frau konnte sich tatsaechlich, was ziemlich selten ist, in mich als Radfahrer hineindenken – „Wenn Sie nach Bugutshar und ueber die Trasse wollen, koennen Sie eine Abkuerzung ueber den Berg nehmen, dort ist die Strasse zwar nicht asphaltiert, Sie muessen etwa 8 Kilometer ueber die Felder fahren, aber Sie brauchen keine Angst haben, wenn Sie so weit schon gefahren sind, werden Sie das schaffen“ … waehrend ich sonst manchmal seltsame Auskuenfte erhalte, wie etwa: „In diesem Staedtchen (20 km weiter) bin ich noch nie gewesen“.

Eine Baeuerin huetet die Kuehe, sie haelt die Hand gegen die Sonne, um mich zu sehen. Wenn ich rufen wuerde, wuerde sie sicher kommen und mir den Weg erklaeren. Ohne den Grund zu kennen, fahre ich weiter. Am Horizont ist schon ein Wald zu sehen; dort erfreuen sich Muecken an meinem schmackhaften Blut. Zelt aufbauen, duschen, Bierchen trinken, Notizen machen …

Den naechsten Tag radle ich doch im Koma – alles Gegenstaendliche verschwindet im Moment der Betrachtung; der Asphalt brennt wieder, ich hoere mein Keuchen, die Zunge schwillt. Gerade so noch schaffe ich es bis Podkonovka, ich reiche Sina und Fjodor eine Tuete mit Eis, lege mich in den Schatten und schlafe, und Volodja, der zehnjaehrige Enkel, begruesst mich nach dem Aufwachen, waehrend die Sonne untergeht, mit einem herzlichen „Guten Morgen!“.

Es wird noch ein langer Abend. Sina, die ehemalige Lehrerin, fragt Vokabeln ab; ich berichte von meiner neuen Liebe (Wie alt ist sie? Russinen sind die besten Frauen!“). Fjodor verbluefft mich mit einzelnen deutschen Formulierungen, die er vor mehr als 40 Jahren in der Schule gelernt hat – „Kommt Zeit, kommt Rat. Was Hans nicht lernt …“ Und nach seinen Erklaerungen verstehe ich auch, weshalb man in mir doch immer wieder den Deutschen erkennt, weshalb der Akzent eben nicht von einem Franzosen oder Englaender stammen kann – man hat zu oft westliche Filme gesehen und kann die Feinheiten gut unterscheiden.

Themen: Tour de Wolga

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