Bloeder Sturz
Zwei irre Tage. Es ist so heiss und schwuel, dass ich dankbar bin fuer jeden Baum, der etwas Schatten auf die Strasse wirft. Und die Strecke zwischen Poltawa und Blisnjuki kenne ich schon in- und auswendig, ich koennte sie beinahe mit verbundenen Augen fahren.
So habe ich Zeit, ueber die Erlebnisse in Poltawa nachzudenken.
Ich sollte endlich ein Portraet ueber Dima Bandurist schreiben. Diesem verrueckten Menschen braucht man ja bloss eine Kamera oder ein Diktaphon hinzuhalten, schon hat man die schoensten Geschichten. Wir haben natuerlich wieder ausgiebig in der Sauna gefeiert, er hat seine neuesten Keramiken gezeigt, hat gesungen und auf der Bandura fuer uns gespielt.
Dima auf Youtube: Дмитро Яцько. Про Саву Чалого
Typische Dima-Saetze gehen so: „Warum ich Bandurist und Nationalist bin. In der Schule, in der ersten Klasse wurden uns Musikinstrumente vorgefuehrt. Keiner wollte die Bandura spielen. Ich wollte. Denn dann hatte ich ein Instrument fuer mich allein. Und Nationalist wurde ich auch in der Schule. Wichtig war es ja, die Paederasten-Struktur zu erkennen. Die debilen Funktionaere zu ueberlisten, den antrainierten Gehorsam.“
Dabei stammen seiner Vorfahren muetterlicherseits aus den Karpaten, sind Rumaenen. Aber Dima war natuerlich schon immer ein Bourgeois. Das indische Schloss, in dem er meistens lebt, hat der Vater, ein Architekt, erbauen lassen.
Hinter der Autobahn Charkiw – Dnjepropetrowsk biege ich auf die Landstrasse nach Lozowa ein. Ich habe zu wenig getrunken, nur zwei Liter den ganzen Tag ueber. Das ist etwas leichtsinnig. Obwohl es so heiss ist, rieseln mir Kaelteschauer ueber die Arme. Das naechste Dorf duerfte noch etwa 10 Kilometer entfernt sein.
Immer noch aergert es mich, dass ich im Interview nicht schnell genug reagiert habe, als der Moderator darauf hinwies, dass im ukrainischen Fernsehen der Protest zweier deutscher Gruenen-Politiker nicht gezeigt wurde. Ich haette antworten sollen: Die Bildregie hatte doch die UEFA, nicht das ukrainische Fernsehen. Und: Aus ukrainischer Sicht wirkt dieser Protest wahrscheinlich peinlich. Denn es ist ja nicht so, dass in der Ukraine Bilderverbot herrscht. Fotos von der inhaftierten Julia werden auch in den Nachrichten gezeigt, auch die Plakate der Opposition. Nur wenn man Fussball guckt, will man eben Fussball gucken. –
So etwa.
Ein Hund laeuft durchs Gras, dann folgen ihm mehrere. Ich kenne diese Biester schon, sie sind eine wahre Plage. Auch diesmal laufen sie neben dem Fahrrad her, schnappen nach meinen Fuessen, bellen. Ich greife wie immer nach dem Schloss, will dem, der mir zu nahe kommt, kraeftig auf die Schnauze hauen. Aber sie reagieren zu schnell, ich erwische keinen. Wenn ich bruelle „Haut ab! Weg da!“, oder etwas in der Art, laufen sie langsamer. Aber vertreiben lassen sich nicht. Ich koennte anhalten, denn was sie erregt, ist ja die strampelnde Bewegung der Fuesse. Waehrend ich wieder mit dem Schloss aushole, verziehe ich den Lenker; ich stuerze, rutsche ueber den Asphalt, die Hunde sind ueber und neben mir, einer bekommt einen Fusstritt in den Bauch. Wenigstens eine kleine Rache. Ich komme nur muehsam hoch, aus der rechten Hand fliesst Blut, aus dem Bein und aus dem Ellenbogen. Die bloeden Koeter verdrehen die Koepfe und bellen.
Ach, wie wuensche ich den radikalen Tierfreunden solch ein Erlebnis!
Gebrochen ist offenbar nichts, aber die Hand sieht boese aus. Die Wunde am Handballen ist etwa 4 mal 4 Zentimeter breit und tief und schmutzig. Im Ellenbogen steckt auch eine Menge Dreck. Blut tropft auf den Boden.
Wie dumm, dass ich vor Poltawa meine Handschuhe im Wald vergessen und noch keine neuen gekauft habe. Zumindest die Wunde an der Hand waere kleiner ausgefallen.
Ich stelle das Fahrrad wieder auf, es scheint nicht beschaedigt zu sein. Ich will ins naechste Dorf fahren, die Wunden zumindest etwas waschen, sie dann im Nachtlager anstaendig verarzten. Hoffentlich ist die Hand nicht verstaucht. Wieder hat es meine schwache rechte Seite erwischt, Gott sei Dank aber nicht den Fuss.
Die Hunde folgen mir bis ins Dorf. Wenn ich koennte, dann wьrde ich sie einzeln abknallen. Im Dorf bringen mir gleich drei Verkaeuferinnen Wasser. Eine bietet Jod an, um die Wunden zu reinigen. Aber auf diesen Schmerz verzichte ich. Einhaendig fahre ich in den Wald, schlage das Zelt auf, schmiere Salbe auf die Wunden, wickle sterile Binden drum. Es haette Schlimmeres passieren koennen, das ist ein Trost.
Die Nacht wird unruhig, ich wache immer wieder von den Schmerzen auf. Auch der naechste Tag ist hart, ich muss noch 120 Kilometer bis Blisnjuki fahren, wo ich mich bei Freunden einige Tage erholen kann.
Foto: In Dimas Werkstatt
Themen: Tour de Wolga
28th.Juni 2012 um 20:14
Lieber Christoph, Mensch, Kerl, Freund, was machst Du nur? Auf das Jod hättest Du nicht verzichten sollen. Ich weiß, eine wohltuende Salbe ist mir auch lieber. Und auch ich bin da ein großer Feigling… aber meine Frau rabiat und die Wirkung enorm! 😉
Wir hoffen, die Salbe hat geholfen und Deiner Weiterfahrt steht nichts im Wege. Lieben Gruß von Lyudi & Jens
29th.Juni 2012 um 04:25
Ich glaube gelesen zu haben, dass Jod nicht hilft. Das stimmt offenbar nicht (http://www.medical-tribune.de/home/news/artikeldetail/jod-darf-auf-die-wunde.html).Doch wenn ich den Dreck vollstaendig haette rauswaschen wollen, haette ich auf dem Dorfplatz heulen muessen. Das wollte ich nicht. Auch glaube ich an die Selbstheilungskraefte des Koerpers. Allerdings sind Teerkruemel in der Wunde sicher nicht gesund. Meine Hoffnung: Die Wunden schliessen sich und verschorfen und es tritt keine Blutvergiftung ein. –
Danke euch fuer die Wuensche. Natuerlich fahre ich weiter.
1000 Gruesse an den Dnjepr