Allerlei Verwirrungen

Inzwischen bin ich wieder in Poltawa. Ich bin mit dem Zug gefahren, nicht mit Rad.
Aus mehreren Gründen: Um wichtige Freunde und Informanten zu treffen, um meine Studien über die Mafia fortzusetzen und mit Freunden und Opfern der ehrenwerten Organisation zu sprechen, um den Sorotschinskaya Jahrmarkt zu besuchen (Sorotschinskaya yarmarka).

Der Zug brauchte 26 Stunden für die etwa 1200 Kilometer lange Strecke. Mit dem Rad wäre ich etwa 65 Stunden gefahren, allerdings verteilt auf 7-8 Tage.
Die Zugfahrt war grässlich. Ein paar Mal überkam mich der Wunsch, auszusteigen und in der geliebten langsamen Form weiterzufahren. Ich hatte nur ein Billet für den Platzkartenwagen bekommen, nicht für ein Coupé. Und auch nur für ein oberes Bett, auf dem man nicht einmal sitzen kann, so gering ist der Abstand zum Waggondach. Außerdem sind die oberen Betten noch schmaler als die unteren, weshalb ich ohnehin Angst hatte, im Schlaf herunterzufallen, zwei Meter in die Tiefe, denn irgendeine Art von Barriere gibt es zum freien Raum hin nicht.

Die gefühlte Temperatur betrug 50 Grad. Nur wenige Fenster konnten ein wenig geöffnet werden. Die Deschurnaya lachte, als ich nach der konkreten Temperatur fragte. Ich solle nicht an die Hitze denken, das deprimiere nur. Sie sei einmal nach Tschechien gefahren, dort habe sie deutsche Waggons gesehen, in denen die Fenster heruntergeklappt werden und man sich sogar hinausbeugen könne, sie verstehe also, dass ich von der sowjetischen Konstruktionsweise nicht begeistert sei.
Ähnlich hatten auch meine Malerfreunde auf dem Bahnhof von Saratow argumentiert. Igor meinte sogar, die Waggons seien absichtlich so gebaut geworden, um die Reisenden zu quälen.
Diese Vermutung ist gar nicht so abwegig, wenn man bedenkt, dass in der Sowjetunion die Wohnungen extra mit niedrigen Decken gebaut wurden, damit die Menschen sich dort nicht zu wohl fühlen, sich häufiger auf den Straßen aufhalten, wo sie leichter kontrolliert werden konnten (siehe Lichatschow).

Igor und Roman, die Malerfreunde, planen für das nächste Jahr eine Fahrradtour von Moskau über Minsk bis nach München, evtl. bis nach Paris. Sie wollen mit dieser Reise den Maler Kusma Sergejewitsch Petrow-Wodkin (Кузьма Сергеевич Петров-Водкин) ehren, der vor 110 Jahren mit dem Rad diese Strecke gefahren ist. Angeblich – ich kann es kaum glauben – haben sie als Sponsoren sowohl das verschnarchte Goethe-Institut als auch das Französische Kulturinstitut in Russland als auch das verschnarchte Saratower Kulturministerium gewinnen können.
Das heißt in der Praxis: Sie werden von einem Arzt und von einem Auto begleitet, in dem sie ihr Gepäck verstauen können. Sie haben mich zu dieser Reise eingeladen. Sie sind einige Jahre jünger als ich und wollen so bequem fahren. Wird auch ein fliegendes Restaurant mitkommen?, fragte ich.
Zuerst, bevor sie das Begleitfahrzeug erwähnten, hatte ich spontan zugesagt. Aber inzwischen bin ich mir ziemlich sicher, dass ich diese Einladung ausschlagen werde, so reizvoll es wäre, mit den beiden unterwegs zu sein. Eine Fahrradreise ohne Gepäck, das ist mir dann doch nicht partisanisch genug.

Vor Poltawa kam es zu einer angenehmen Verwechslung. Ich hatte die Vermieterin per SMS informiert, wann mein Zug ankommen und wann ich in der Wohnung sein werde.
Da mein Telefon inzwischen ob der Karten aus drei Ländern gänzlich verwirrt ist, sendete es die Nachricht an Dima, den Banduristen. Der antwortete nur mit einer Frage: Welcher Bahnhof?
Seltsam, dachte ich, weshalb will die Vermieterin das wissen. Wenige Minuten vor meiner Antwort rief mich Dima an. Er sei jetzt am Bahnhof, in welchem Waggon ich säße. Da erst begriff ich den Fehler.
Aber weshalb hatte Dima auf die SMS geantwortet, obwohl ich doch „Privet Gala“ geschrieben hatte?
Er glaubte, ich hätte mich bei ihm, in sein indisches Schloss, eingeladen. Außerdem hatte er vermutet, ich wüsste, dass seine Frau Geburtstag habe. Es sei doch ganz natürlich, dass wir zusammen feiern würden.
Geburtstag? Ich war zwar elendig müde nach der Zugfahrt, aber zum Feiern fühle ich mich nie zu schwach, jedenfalls nicht außerhalb Deutschlands.
So fuhren wir noch zwanzig Kilometer übers Land. Mascha, Dimas Frau, Architektin und Malerin, war gerade von einer siebenwöchigen USA-Reise zurückgekehrt. Obwohl sie zum ersten Mal im Ausland war und jetzt, dank eines reichen Gönners, über ein 5-jähriges USA-Visum verfügt, hat sie keinerlei Kulturschock verspürt. Chicago hatte ihr seltsamerweise am besten gefallen. Und mexikanisches Essen.
Ihre Zeichnungen von dieser Reise wollte sie an diesem Abend nicht mehr zeigen. Deshalb hier ein Porträt, das sie von mir vor zwei Jahren gemacht hat.

Foto: Mascha Kisslowa portätiert CDB

Themen: Tour de Wolga

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