Die 7. Tour de Wolga
… führt nicht an die Wolga, sondern zunächst nur in die Ukraine, später vielleicht nach Georgien und Armenien. Dafür gibt es private wie berufliche Gründe.
Erst einmal bin ich so früh losgefahren wie nie zuvor, schon Ende April. Die Fahrt durch Polen war ziemlich ungemütlich, es hat fast ununterbrochen geregnet, die Nächte waren kalt, meist um die 5 – 7 Grad.
Kurz vor der ukrainischen Grenze aber klarte der Himmel auf, wie so oft auf meinen Touren.
Ukraine, das ist Sonne und Wärme, nicht nur im metaphorischen Sinne. Der Frühling ist hier ausgefallen. Zwischen dem letzten heftigen Schneefall und dem Anstieg der Temperaturen auf 30 Grad lag nur ein Abstand von wenigen Tagen.
Eine Frau allein unterwegs
Am letzten Tag in Polen traf ich eine Leserin aus München. Sie hatte mir vor einigen Wochen geschrieben. Sie lese meinen „Blauen Elefanten“ und wolle ebenfalls mit dem Fahrrad allein durch die Ukraine fahren. Ob sie das wagen könne, als junge Frau.
Meine Antwort lautete natürlich: In der Ukraine sei sie weniger gefährdet als in München. Schließlich hat hier die Gastfreundschaft einen höheren Wert als dort. Und die ukrainische Polizei agiert nicht so brutal wie die bayrische, schon gar nicht gegenüber Fremden – man sehe diesen Bericht auf YOUTUBE – „Wenn bayrische Beamte pruegeln gehen“.
Wir telefonierten 2 – 3 Mal, ich gab ihr einige Tipps. Sie fuhr über Tschechien und Polen. Sie ist zwar sportlich und geht regelmäßig in die Berge, doch immerhin war bzw. ist es ihre erste Radtour, die sie allein bewältigt. Und dann gleich von München nach Odessa! Mutig, mutig! Trotz des scheußlichen Wetters in Polen gab sie nicht auf. Sie hätte sich ja nur an den Straßenrand stellen und winken müssen, man hätte sie zu dem Ort gebracht, den sie genannt hätte.
Als wir uns dann in Przemysl gegenüberstanden, bestätigte sich gleich der Eindruck, den ich die ganze Zeit von ihr hatte: Die Frau ist klar wie ein Kristall.
Ich war ausgehungert, war am Vortag 170 km gefahren. Ich wollte eigentlich schon zum GROSSEN SPRUNG ansetzen und die Nacht durchfahren. Da schrieb sie: „Wir sind doch nicht auf der Flucht?“ Oh Schock, wie kann sie wissen, was das Unbewusste mir befiehlt?
Wir hatten verabredet, einige Tage zusammen zu fahren, vor allem bei der Einreise in die Ukraine wollte sie nicht allein sein. Tatsächlich wurde dort aber nur mein Pass, der nach neun Jahren schon ziemlich lädiert ist, genauer untersucht.
W.‘s Freunde und Bekannte in München hatten natürlich den üblichen Unsinn befürchtet, der Deutschen so einfällt, wenn sie nur die Ländernamen Ukraine oder Russland hören. Wirklich Angst hat W. aber nur vor den Straßenhunden. Von denen sahen wir vorerst keine, dafür aber kirchliche Prozessionen – denn es war Ostern! Wir fuhren von Kirchengesang zu Kirchengesang! Kein Dorf ohne neue Kirche, manche so groß, dass alle Einwohner darin wohnen könnten.
Während in Polen die vielen reichen Privathäuser und Privatschlösser auffallen, die englischen Parks davor, so hier die sakralen Bauten.
Im herrlichen Kontrast zu den vergoldeten Zwiebeltürmen – die schlechten Straßen. Zwar können sie 30 – 40 Meter breit sein, aber auch so voller Löcher, dass jeder Auto- oder Radfahrer sich seinen Weg selbst suchen muss, eine praktische Übung in Sachen Emanzipation.
Ich sagte zu W.: „Nun verstehst du, dass hier die Straßenverkehrsordnung nur eine Kann-Bestimmung ist. Wenn hier ein Polizist verlangen würde, man solle immer rechts fahren …“
„… würde man ihn fragen: Wo hast denn du dein Praktikum gemacht?“, setzte W. fort.
So gut wie in diesem Dialog verstanden wir uns auch beim Fahren. Sie hielt sich meist hinter mir, fuhr in meinem Windschatten. Man merkte gleich, dass sie „Erfahrung am Berg“ hat. Denn sie murrte oder schimpfte nicht, wenn ich die Anstiege schneller bewältigte, als sie. Wenn es schwer wird, muss jeder seinen Rhythmus halten, da kann die oder der Schwächere oder Langsamere nicht erwarten, dass man wegen ihr oder ihm sich länger quält. Eine Konkurrenzsituation zu erfinden, wie es unter Männern wohl üblich wäre, wäre nur nervend und kräftezehrend.
W. schien mir auch gar nicht besonders enttäuscht zu sein, dass ich nicht, wie ursprünglich geplant, mit ihr nach Lwiw fahren wollte. Erst hier in Tynivka, wo ich inzwischen nach 1835 km eingetroffen bin, werden wir uns wieder treffen.
19th.Mai 2013 um 01:46
Glückwunsch, über Vorurteile hinweggeholfen zu haben! Konnte auch noch nie verstehen, was die Leute sich hier so denken… Wünsche immer eine handbreit Luft unter der Felge!
Grüße