NachDenkSeiten zur Ukraine

Gestern haben die NachDenkSeiten auf meinen Ukraine-Artikel vom Sommer hingewiesen. Im Kommentar heißt es: „Man mag dem Autor Brumme nicht in jedem seiner Punkte zustimmen (besonders nicht seiner sehr unkritischen Betrachtung des EU-Assoziierungsabkommens und dessen Folgen), doch liefert sein Bericht – gut drei Monate vor dem Beginn des sogenannten ‚Euromaidan‘ veröffentlicht – einen interessanten anderen Blick auf das Land, als man ihn vom Gros der hiesigen Journalistinnen und Journalisten gewohnt ist.
Er hat eben nicht nur die Hauptstadt bereist, sondern die ganze Ukraine. Umso klarer wird beim Lesen seines Textes, dass das Land viel mehr Bruch- (aber auch Verbindungslinien!), viel mehr Regionen, Stimmen und Eindrücke aufweist, als den meisten von uns überhaupt bewusst ist und die man erst entdecken kann, wenn man sich wirklich zu den Menschen begibt und nicht von einem Hotelzimmer oder einer Barrikade in Kiew über die Lage ‚vor Ort‘ berichtet.“

Leider kann ich das Lob an die NachDenkSeiten nicht zurückgeben. Denn der Artikel „Der Qualitätsjournalismus versagt“, in dem die Ukraine-Berichterstattung deutscher Medien umfassend kritisiert wird, enthält trotz vieler berechtigter Fragen selbst viele Klischees und schlecht durchdachte Vergleiche.
Ein Beispiel: „Swoboda-Anhänger verehren Stepan Bandera, einen Nazi-Kollaborateur und Mörder, als Nationalhelden.“
Nun, das ist bestenfalls die halbe Wahrheit über Bandera.  Er war auch drei Jahre lang im Konzetrationslager Sachsenhausen inhaftiert und kämpfte auch gegen die Deutsche Wehrmacht. Das sollte man der Vollständigkeit halber hinzufügen. Aber dann wäre das Bild vom „faschistischen Demonstranten“ kaum mehr zu vermitteln.

Oder der unsägliche Vergleich mit den Verhältnissen in Deutschland: „Für Gesetze wie das Vermummungs- oder Bewaffnungsverbot bei Demonstrationen wurde Janukowitsch als Diktator bezeichnet, der aus der Ukraine einen Polizeistaat mache. Das mag sein, doch in Deutschland und zahlreichen anderen EU-Staaten finden sich solche Gesetze ebenfalls.“
Wenn zwei das gleiche tun, dann ist es noch lange nicht dasselbe. Angela Merkel hat aus dem Bundeshaushalt keine 12 Milliarden $ geklaut. Sie hat auch keine Demonstranten entführen und foltern lassen.
Deshalb ist es nur wünschenswert, dass „dieselben Korrespondenten die gleichen Taten von oppositionellen Straßenkämpfern in der Bundesrepublik völlig anders beurteilen würden als derzeit in der Ukraine“.

Auch diese Kritik kann nur von einem Menschen geäußert werden, der während der Revolution nicht in der Ukraine war und die Verhältnisse nur oberflächlich kennt: „Wenn Menschen für den Präsidenten auf die Straße gehen, wird zu Recht sofort und jedes Mal darüber informiert, dass sie aus anderen Landesteilen nach Kiew ‚gekarrt‘ wurden und Geld erhalten haben. Bilder der Buskolonne werden gezeigt, O-Töne eingefangen, nachgehakt – journalistische Arbeit, wie sie sein sollte.
Wer aber erfahren will, dass oppositionelle Demonstranten und militärisch organisierte Faschistengruppen wie die ‚UNA-UNSO‘ oder der ‚Narodna-Block‘ ebenfalls mit Bussen absolut geplant und ja irgendwie auch finanziert aus den westlichen Regionen nach Kiew kommen, wird in deutschen Quellen kaum etwas finden.“
Es sind aber nur wenige Demonstranten „mit Bussen absolut geplant“ auf den Majdan gekommen, während unter den Anhängern Janukowytschs fast niemand ungeplant und ohne Anweisung und Erpressung zu einer Demo erschien.

Auch diese Behauptung ist erstaunlich: „Die Verweise anderer Korrespondenten auf freiwillige Spenden allein sind wenig glaubwürdig. Schon gar nicht, wenn gleichzeitig Oligarchen wie etwa Petro Poroschenko die Revolte unterstützen.“
Warum sollen die Hinweise auf freiwillige Spenden wenig glaubwürdig sein? Nur weil man sich aus der Ferne das Engagement zehntausender Bürger nicht vorstellen kann?

Die abschließende Wertung in diesem Artikel muss man wohl als „Schuss ins Bein“ bezeichnen:
„Schließlich gehen sie (die mit der Ukraine befassten Journalisten) Informationen nur einseitig nach, spielen problematische Sachverhalte wohlwollend herunter oder verschweigen sie ganz. Eine an qualitativen Kriterien orientierte Berichterstattung – differenziert, tiefgründig und neutral – findet nicht statt. Der von seinen Machern viel besungene Qualitätsjournalismus versagt.“
ALLE Journalisten gehen NUR einseitigen Informationen nach?
Mindestens in der FAZ wurden in den letzten Wochen die Ereignisse in der Ukraine aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet, dort kamen auch die betroffenen Ukrainer selbst zu Wort. Auch in der ZEIT gab es mehrere sachliche, um Objektivität bemühte Reportagen.
Man kann allenfalls einem großen Teil der Ukraine-Berichte Einseitigkeit und Oberflächlichkeit vorwerfen – wie etwa gestern dem ARD-Kommentar, in dem Lenin und die ukrainische Identität irgendwie vermischt wurden.

Wirklich grotesk ist es, dass die NachDenkSeiten einen Artikel aus der RHEINPFALZ als ausgewogen bezeichnen, in dem zum Beispiel behauptet wird: „Russlands Präsident Putin hat die Interessen seines Landes mit einem äußerst substanziellen Angebot an Kiew verteidigt, während aus der EU nur das übliche Stimmengewirr zu vernehmen gewesen ist.“
Das „substantielle Angebot“ Putins erfolgte nach einem erpresserischen Akt, nach dem Handelsboykott Russlands gegen ukrainische Waren im letzten Sommer. Es sollte Janukowytsch in Abhängigkeit zu Moskau halten und dessen kleptomanische Regime festigen.

Wie ist es zu erklären, dass sowohl Vertreter der Partei die Linke, als auch ein „links-liberales“ Blatt wie der Freitag, als auch die verdienstvollen NachDenkSeiten die Revolution in der Ukraine derart gehässig beschreiben? Wie kann es sein, das Linke eine linke Revolution nicht erkennen?
Zunächst: Was sie den „bürgerlichen“ Medien vorwerfen, betrifft sie selbst im weit schlimmeren Maße. Sie haben keine ständigen Korrespondenten in der Ukraine, sie kennen das Land offensichtlich nicht aus eigener Anschauung. Notfalls wird, um diesen Mangel nicht sichtbar werden zu lassen, Zeugenschaft simuliert, wie etwa im „Freitag“. Man tut so, als sein man vor Ort, beschreibt aber nur Fernsehbilder.
DIE ZEIT, DER SPIEGEL und die FAZ betreiben wenigstens Katastrophenjournalismus und schicken Korrespondenten nach Kiew, wenn die Barrikaden brennen.
Weiterhin sind viele Linke Opfer der eigenen Überzeugung, dass vom Westen, aus der EU und aus den USA, nichts Gutes kommen könne. Wenn der Westen sich engagiert, dann kann es NUR um ökonomische Interessen gehen, allenfalls noch darum, Putin zu ärgern und Russland zu schwächen, so die Überzeugung.
Die ukrainische Wirklichkeit jedoch ist etwas widersprüchlicher und komplexer, als sie in dieser verblendeten Perspektive erscheint. Dass sowohl der politische Westen, als auch Russlands Regierung, als auch das Regime des Ex-Präsidenten Janukowytsch mit gezinkten Karten spiel(t)en, sprich eigene Interessen ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der ukrainischen Bevölkerung verfolg(t)en, steht außer Frage. Ich habe darauf schon Anfang Dezember im WDR-Interview hingewiesen und damals bereits gesagt, dass es sich um eine Revolution handle. Eine Revolution, in der die Ukrainer, unabhängig von den Interessen auswärtiger Mächte, um ihre Freiheit, für mehr Wahrheit und Gerechtigkeit kämpfen.
Auch wenn es den deutschen Linken nicht gefällt: Vor die Wahl gestellt, hätten die meisten Ukrainer lieber westeuropäische Verhältnisse, als ukrainische oder russische.

Themen: Russland - Ukraine

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