Die Legitimität der ukrainischen Regierung

Die Regierung in Kiew habe die Kontrolle über einige Landesteile verloren, heißt es in deutschen Medien. Tatsächlich hat in den letzten zwanzig Jahren noch keine Kiewer Regierung die Kontrolle über alle Landesteile gehabt.

In der Ukraine lebt die Hälfte der Bevölkerung weitgehend ohne staatliche Hilfe oder Kontrolle, ebenso wie in Russland. Der Anteil der Schwarzarbeit beträgt in manchen Bereichen einhundert Prozent. In vielen Regionen klären die Bewohner ihre Streitereien ohne das Wissen des Staates und üben Selbstjustiz aus. Traditionell leisten die Behörden in den Provinzen Widerstand gegen die Vorgaben aus Kiew. Insofern muss man in der Ukraine keine Angst vor einem Machtvakuum haben, das war schon immer da.

In einigen deutschen Kommentaren wird die Argumentation des russischen Präsidenten übernommen, die neue Regierung in Kiew sei nicht rechtmäßig an die Macht gekommen. Sie habe die Vereinbarungen mit den drei EU-Ministern nicht eingehalten. Es habe ein Putsch oder Staatsstreich von Radikalen stattgefunden.
Zur Frage der Legimität der Regierung erinnere man sich an das Ende der DDR. Wie legitim war die Regierung Modrow? Oder der Runde Tisch?
Auch beim Zusammenbruch der DDR hat „der Druck der Straße“ das Tempo vorgegeben – anfangs schien der Ruf nach einer eigenständigen DDR und einer Konföderation mit der BRD mehrheitsfähig, doch bald wurde aus den Rufen „Wir sind das Volk“ – „Wir sind ein Volk“. Und Helmut Kohl konnte einen 10-Punkte-Plan zur Wiedervereinigung vorstellen und sich auf die Forderungen der Demonstranten in Dresden berufen. Wenn es nach den vier Siegermächten gegangen wäre, hätte der Prozess der Wiedervereinigung mehrere Jahre gedauert.

So konnten und wollten auch radikale Menschen in Kiew nicht noch zehn Monate lang warten auf neue Präsidentenwahlen. Wem wollte man auch zumuten, unter der Herrschaft eines Präsidenten zu leben, der Demonstranten hinrichten lässt?
Bei der Bewertung der Vereinbarung, die drei Führer der oppositionellen Parteien unterzeichneten, ist weiterhin zu beachten, dass sie kein ausreichendes Mandat besaßen. Sie führten zu  keinem Zeitpunkt den gesamten Majdan an, wie deutsche Medien unterstellten, sondern stets dort agierten eine Vielzahl von Gruppen auch selbständig nebeneinander.
Niemand war befugt oder in der Lage, im Namen aller Empörten zu sprechen, das ist auch nichts Neues während revolutionärer Umbrüche. Wer in eruptiven historischen Momenten sich auf das Recht von gestern oder „internationalen Gepflogenheiten“ beruft, verfehlt das Thema und die Wirklichkeit.

Außerdem entstand die Vereinbarung offenbar unter Zwang, mit dem Gewehr im Nacken. Im Internet kann man sich ein Video ansehen, das die Mahnung des polnischen Außenministers an die Oppositionsführer wiedergibt, wenn sie diesen Vertrag nicht unterzeichneten, kämen sie vor ein Kriegsgericht, Janukowytsch sei gewillt, das Kriegsrecht auszurufen und anzuwenden.
„Gewehr im Nacken“, dazu gehört auch, dass während der Verhandlungen Demonstranten erschossen wurden. Unter solchen Bedingungen kann es vernünftig erscheinen, fast jeden Vertrag zu unterschreiben.  Aber es soll sich niemand wundern, wenn er hinterher nur noch zum Arschabwischen benutzt wird.

Im Übrigen hat jedes Volk das Recht, sich sein politisches System und seine Regierung selbst zu wählen und eine einmal gewählte Regierung auch abzuwählen und zu stürzen, falls diese die Gesetze ihre Fürsorgepflicht für die Menschen und verletzt. Der Erste, der die Verfassung brach, indem er sie außer Kraft setzte, war Janukowytsch, nämlich gleich nach seinem Amtsantritt 2010.

Empfehlenswerte Lektüre: „Über Legitimität und Moral“, Ukraine-Nachrichten

Themen: Russland - Ukraine

2 Kommentare to “Die Legitimität der ukrainischen Regierung”

  1. Armin Hergl schreibt:
    5th.März 2014 um 22:57

    Ein sehr interessanter Beitrag, insbesondere der Vergleich mit der DDR. Als jemand, der auch in Russland und der Ukraine einige Freunde hat, lese ich gern die Artikel hier.

    Was den Rückblick auf die letzten drei Monate angeht, teile ich teils Ihre Meinung.
    Aber wenn wir nach vorne schauen: Was macht Sie so sicher, dass nun in UA eine echte, ernstzunehmende und „ehrliche“ politische Kraft bis zu den Wahlen herausbilden wird. Denn das Triumverat (das uns im Westen verkauft werden soll), kann es ja wohl nicht sein?

    Mfg

  2. Honigdachs schreibt:
    6th.März 2014 um 08:59

    Ich bin mir sicher, dass sich im Moment nicht nur eine, sondern viele bedeutende demokratische Kräfte in der Ukraine herausbilden. In vielen Städten und Dörfern entstehen jetzt Initiativen, von den bisherigen Behörden Rechenschaft zu verlangen, die Veruntreuung von Geldern aufzuklären. Es findet eben nicht bloß ein „Austausch der Eliten“ statt, sondern es setzt eine starke basis-demokratische Bewegung ein, übrigens auch im „finsteren Donbass“.
    Was die konkreten Personen an der Regierung angeht: Wo sollen bessere so schnell herkommen? Die nächsten Wochen muss improvisiert werden.
    Weil ich die Menschen in der UA so gut kenne, bin ich mir sicher, dass die UA jetzt eine gute Entwicklung nehmen wird, es sei denn Russland verhindert es.

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