Die Wolga fließt ab heute nach Norden
Typisch DER SPIEGEL, sie zündeln, ohne es zu merken. Twitter-Meldung von Benjamin Bidder: „Andererseits setzt eine Mehrheit der Bevölkerung tatsächlich große Hoffnungen in Russland.“
Wie kann er das einschätzen? Natürlich gibt es einheimische Schreihälse und russische Nationalisten auf der Krim.
Aber es gab auch viele Ukrainer, die auf der Krim ein Haus besaßen, ohne dort offiziell gemeldet zu sein. Viele Häuser wurden zeitlich unbegrenzt vermietet, und mit Familien im Landesinnern, aus Poltawa, aus Dnjepro, geteilt. „Einheimische“ lebten sein Jahren in Kiew, „Auswärtige“ hatten sich nie als Krim-Bewohner registriert, waren aber welche.
DIE KRIMBEVÖLKERUNG war keine homogene Gruppe von Menschen. Jetzt ist dieses imaginäre Subjekt noch schwerer fassbar. Um das zu erkennen, muss man kein Soziologe sein. Weil diese Grupe als solche nicht existiert, kann über ihr Wahlverhalten keine relevante Aussage getroffen werden.
„Und was, wenn die Wahlbeteiligung bloß 10 Prozent betragen wird – was dann?“, fragt Jens vom Dnjepr.
Er ist Optimist und hofft noch auf ein gutes Ende, das ist verständlich, er lebt ja nicht weit von der Krim. Mit dem Fahrrad könnte er in zwei Tagen dort sein.
Wenn die Wahlbeteiligung bloß 10 Prozent betragen wird, werden die Russen sagen, es waren 110 Prozent. In Woronesh gab es eine Wahl mit 140 Prozent Wahlbeteiligung.
Die russisch-orientalische Lust an der Übertreibung kennen wir doch.
Zahlen? Zahlen sind für Russen wie Schmetterlinge: sie sind schön, man kann mit ihnen spielen, man kann sie wegpusten, sie sind nicht wichtig. Gestern kostete die Brücke eine Million, morgen 700, der Chef verbringt den Ski-Urlaub in den Alpen, die Sekretärin sorgt sich um Milch für ihre Kinder. Das Geld sprudelt in Russland aus der Erde. Deshalb sind Zahlen so unwichtig.
Und deshalb wird auf der Krim die orientalische Kunst der Übertreibung siegen. Auch wenn alle Einheimischen geflüchtet wären, würde Russland gewinnen. Russland ist so mächtig, das kann sogar Flüsse umleiten, es kann Länder verschieben, die Ukraine wird Kamaschatka angeschlossen, und die Wolga wird bald nach Norden fließen.
Themen: Russland - Ukraine