Die Zerrissenheiten der Ukraine – Feldstudie (1)

Ethnologische Feldstudie – Sprache und Kultur im Osten der Ukraine
Eine Siedlung am Rande des Donbass, im Oblast Charkiw. 2000 Einwohner. Ein Zug- und Busbahnhof und – ein eigener Radiosender!
Er wird in Anlehnung an die sowjetische Tradition „Regierungsradio“ genannt, weil der Bürgermeister dort so gerne spricht. Gennadi Stepanowitsch, wir werden von ihn hören.

Das Radioprogramm wird bis tief in die Nacht hinein öffentlich übertragen – die Lautsprecher hängen an einem einzigem Strommast vor dem Marktplatz, über den Eingängen zu den zentralen Geschäften.
Doch auch in den umliegenden Dörfern kann das Programm empfangen werden, was besonders im Winter wichtig ist, um die (alten) Leute über Schneestürme und über behördliche Angelegenheiten informieren zu können.
Ein Radio, das im Alltag hilft. Und das außerdem viel klassische Musik sendet! Opern, Volkslieder, Schaljapin, Utjusow. Wenig Modernes, dafür ist kein Geld und muss keine Werbung senden.

Typische Geräuschkulisse: Das Regierungsradio sendet ein ukrainisches Volkslied, gesungen von einem örtlichen Kinderchor; ein paar Meter von dem Lautsprecher entfernt röhrt ein „Moskwitsch“ aus dem Jahre 1973; ein Kind quietscht; ein Biertrinker ruft „Blin, blath!“, seine Frau: „Du sollst nach Hause kommen!“; ein 12-jähriger Mopedfahrer lässt den Motor seines „Skuter“ aufheulen. Dann singt wieder Schaljapin.

In dieser Geräuschkulisse sitzt Lena (26). Ihr Mann kam vor einigen Monaten bei einem Autounfall ums Leben, sie hat eine sechsjährige Tochter. Lena arbeitete für die Partei der Regionen, durch die Majdan-Revolution hat sie ihre Arbeit verloren. In ihrem Schlafzimmer hängt am Schrank noch ein Aufkleber: „Keine Angst! Ich bin bei dir! Wiktor Janukowytsch“.
Ihre Muttersprache ist ukrainisch, russisch zu sprechen fällt ihr schwer. sie habe keine Erfahrung darin Hier sprechen die meisten Menschen ukrainisch oder surschyk, das Mischmasch zwischen ukrainisch und russisch. Schulsprache ist ukrainisch. Offizielle Reden werden in ukrainisch gehalten.
Lena will in einigen Tagen zusammen mit ihrer Freundin Katja auf die Krim reisen, um dort zu versuchen Arbeit zu bekommen. Sie spricht sich für die Einheit der Ukraine aus.

Katja (25) ist ebenfalls arbeitslos. Sie ist der Meinung, dass Russen, Ukrainer und Weißrussen ein Volk seien, sie sollten deshalb auch in einem Staat leben. Auch ihre Muttersprache ist ukrainisch. Der Krieg im Donbass, meint sie, werde von den Amerikaner finanziert.
Ihr Freund Artjom (30), Leutnant der Miliz, Muttersprache ukrainisch, schimpft auf die Majdan-Revolution, wünscht den Anschluss der Ukraine an Russland, weil dort das Lebensniveau höher sei. Er nennt ein Beispiel: Pampers (Windeln) seien auf der Krim billiger als hier.
Seine Kollegen P- und K., Muttersprache ukrainisch, ukrainische Patrioten, ihre Vorfahren lebten hier seit 200 Jahren. Ebenso ihre Ehefrauen S. und V.

Ihr gemeinsamer Bekannter Wolodja (45), Verkäufer, Muttersprache russisch, wurde im Ural geboren, spricht lieber russisch als ukrainisch, liebt die Ukraine, hat Poroschenko gewählt, bezeichnet Putin als Psychopath.
Georgi (24) wurde hier in der Siedlung geboren, studierte in Charkiw Geologie, lernte dort fließend russisch sprechen, war eine Zeitlang Aktivist beim „Prawij Sektor“, einer rechtsnationalen Organisation, die unter anderem für den alleinigen Gebrauch des Ukrainischen in der Öffentlichkeit eintritt.
Sein Freund Michail (27) gibt als Muttersprache surschyk an, er spricht aber fließend russisch, weil er einige Jahre lang in Kiew als Bauarbeiter tätig war. Dort protestierte er ein Mal für Janukowytsch und die Partei der Regionen, weil es mit umgerechnet 10 Euro pro Tag entlohnt wurde. Er ist ebenfalls für die Einheit der Ukraine.

Zehn Bewohner des Oblast Charkiw, ausgestatt mit ukrainischen Pässen, in denen keine Nationalität vermerkt wird! Das ist wichtig zu wissen.
Denn: An den Tisch tritt jetzt Wowa (45), der sich als Armenier bezeichnet, woraufhin aber sein Schulfreund Wiktor (45) protestiert: „Wieso Armenier? Deine Mutter ist Ukrainerin und du wurdest hier geboren.“
Wowas Muttersprache ist ukrainisch. Beide Freunde sind gegen den Krieg, gegen die Invasion aus Russland, für die Einheit der Ukraine.

Auf keinen dieser Menschen trifft das Muster zu, „ukrainischsprachig gleich Majdan- oder gar „Bandera“-Anhänger oder „anti-sowjetisch“ oriniert oder russischsprachig gleich Sowjet-Nostalgiker oder Leninist oder „Russland-Freund“.

PS: Alle Namen frei erfunden.

Themen: Russland - Ukraine

2 Kommentare to “Die Zerrissenheiten der Ukraine – Feldstudie (1)”

  1. Weltenbummler schreibt:
    20th.Juni 2014 um 16:05

    Also ich weiß nicht woher Ajtom seine Weisheiten nimmt. ABER eines ist sicher weil das ist mein tägliches Geschäft. In Russland und auch auf der Krim sind die Pampers ERHEBLICHER teurer als in der Ukraine. Und in Russland ist das Leben erheblich teurer und schlechter. Ich bekomme wöchentlich etliche Anfragen für Baby Windeln nach Russland zu verkaufen. Weil egal ob aus der Ukraine, Polen oder Deutschland. Die Russen wären froh wenn Sie welche bekommen würden zu besseren Preisen. Und in Russland KANN aus einem anderen Grund Pampers NIEMALS billiger sein. Weil P&G einen korrupten Vertrag mit Putin hat, dass KEINER P&G (Prokter und Gambel)Produkte nach Russland importieren darf. Also nicht legal. Eines von vielen korrupten Geschäfte die der Mörder & Terrorist Putin in Russland betreibt.

    Ich lehne alle Bestellungen und/oder Anfragen von russischen Firmen generell ab. Ich mache mit Mörder und Terroristen keine Geschäfte.

    Und zum Schluss. Ich bin KEIN UKRAINER. Ich bin ein deutscher Staatsbürger. Und ich werde alles dafür machen, dass die EU endlich für alle Russen ein Einreise Verbot verhängt, bis dieser Mörder und Terrorist Putin die gestohlene Krim zurück gibt und seine Truppen aus der Ukraine abzieht.

  2. Honigdachs schreibt:
    22nd.Juni 2014 um 09:31

    Ich fragte Artjom, woher er seine Weisheiten bzw. Informationen bezieht. Er schaut täglich etwa 10 min. TV.

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