Karparten – Kiew – Poltawa
Vorgestern bin ich in Poltawa angekommen, nach 2271 an 19 Tagen geradelten Kilometern. Besonders die Fahrt von Kiew hierher verlief wie im Rausch, 246 km fuhr ich am ersten, 120 km am zweiten Tag.
Dazu muss man allerdings sagen, dass es auf dieser Strecke kaum Anstiege gibt, der Asphalt auf der E 40 glatt ist, keine Spurrinnen aufweist und neben der Straße meistens ein etwa zwei Meter breiter Seitenstreifen verlaeuft. In den Karparten oder in der Gegend suedlich von Vynnitza auf den Schotterwegen zu radeln, ist viel schwerer.
Allerdings regnete es am zweiten Tag der Kiew-Poltawa-Etappe fast ununterbrochen, es war kalt, die Sichtweite arg begrenzt. Als ich ankam, war ich doch sehr froh, auch ein bisschen stolz. Lena und Dima haben mich erwartet, ich konnte mich gleich in die heiße Wanne legen.
Dann haben wir ein bisschen gefeiert. Nachts hatten mir Volontaere, die an die Front fuhren, eine Flasche karpartischen Wein geschenkt, den tranken wir zuerst. Dann kam Oleg, wir spazierten zum Narko- und Alko-Park, den polizeifreien Zonen, wo wir weitere Bekannte trafen. Oleg, der, wie Lena versichert, noch nie schlecht ueber einen Menschen geredet hat, fragte mich nach Neuigkeiten aus Deutschland.
Ich erzaehlte ihm von einer neuen Umfrge, wonach nur 18 Prozent der Deutschen bereit seien, ihr Land (und sich?) zu verteidigen, sollte es von einem Aggressor, etwa von Russland angegriffen werden.
Daraufhin meinte Oleg: „Sie werden Urlaub in Thailand machen.“
„Genau“, antwortete ich, „sie glauben, sie koennten dann Urlaub machen.“
„Deshalb sind die Ukrainer Helden. Sie sterben fuer den Urlaub der Deutschen in Thailand.“
Auf dem Rueckweg sahen wir dann noch drei Studenten aus Marokko und Tunesien, die hier Stomatologie studieren. Ich befragte sie, ob sie hier als Auslaender Probleme haetten. Nein, natuerlich nicht. Nur in Charkiw seien immer am 9. Mai, dem Tag des Sieges, randalierende Hooligans durch die Stadt, aber solche, fragte der Tunesier, gebe es doch in Deutschland auch.
1000 auslaendische Studenten lernen hier, besonders die Medizinische Akademie hat einen hervorragenden Ruf, auch Studenten aus Russland sind hier eingeschrieben.
Nun werde ich einige Zeit hier bleiben und mehrere Reportagen schreiben. Spannende Themen gibt es genug. In Kiew war ich im Militaerkrankenhaus, dort habe ich mehrere verletzte Soldaten und Offiziere interviewt. Zwei meiner besten Freunde sind zur Zeit an der Front, außerdem zwei Bekannte.
In Poltawa jedenfalls wird es nicht langweilig werden, tagsueber schreibe ich in meinem Zimmer im Zentrum und in Cafés, abends treffe ich Freunde und gehe zu Konzerten, heute zu einem Jazz-Konzert.
Fast habe ich den Aerger schon vergessen, mit dem ich mich vorige Woche herumplagen musste – ein Hacker hatte mein Konto leer geraeumt, ich hatte fast kein Geld mehr, nur dank der guetigen Hilfe des unvergleichlichen RB kam ich weiter. Auf dem Hoehepunkt der Verzweiflung erschien mir gar ein Engel – Viktoria aus Erfurt, die mich und mein geniales Trike fotografieren wollte und nach wenigen Saetzen nach Kiew einlud, wo ich das Geldproblem klaeren konnte. Echte Freunde erkennt man in der Not, falsche ebenfalls. Abends auf ihrem Balkon in der 16. Etage bemerkten wir, dass wir 10 gemeinsame FB-Freunde haben.
Ueber das Trike muss und werde ich noch extra schreiben. Es ist einfach verrueckt, was dieses Fahrrad kann. Besonders dass die Reifen die ukrainischen Wege aushalten, ist kaum zu glauben. Es war nicht eine einzige Reparatur noetig – ein herzlicher Gruess an die genialen Ingenieure von HP Velotechnik!
Statistik: Berlin – Poltawa (ohne Uman – Kiew) 2271 km, Gesamtzeit 139 h, laengste Etappe Kiew – Koftuna 246 km, Hoechstgeschwindigkeit 59,78 km/h.
Themen: Tour de Wolga