Erinnerungen an Velika Novosilka / Donbas

Oft setzt ein doppelter Schreck ein, wenn ich die Orte kenne, die in den Frontberichten genannt werden. Seit Wochen „Velika Novosilka“. Da kenne ich jeden Weg, jedes Haus, jeden Strauch, jedes Flüsschen! Und viele Menschen, die jetzt aber nicht mehr dort sind, sondern „in alle Winde verstreut“. Dieser Ort war mir wichtig, dorthin bin ich oft von Berlin aus mit dem Fahrrad hingefahren, v.a. aus drei Gründen:

1. Weil man da herrlich feiern, tanzen und lachen konnte; lachen auch über die absurden Klischees, die oft mit dem Donbass verbunden wurden, sowohl in der ausländischen Presse als auch unter Ukrainern. Viel Quatsch mit Soße, politischer, kultureller, soziologischer, wie das so ist, wenn man Ferndiagnosen anstellt oder mal für ein paar Tage nach Donezk fährt, um angelesene Vorurteile zu illustrieren.
2. Weil diese Gegend kein Kohlerevier ist, sondern überwiegend stille, gutmütige Natur, durchsetzt mit landwirtschaftlich genutzten Flächen. In Velika Novosilka gibt es drei Flüsschen und ringsum Wiesen und Wälder. Da haben wir nachts Krebs gefangen – siehe Fotos – und uns zusammen mit Freunden erholt und über Gott und die Welt gequatscht, über Unterschiede zwischen Deutschland und der Ukraine und warum das Donbas solch einen schlechten Ruf hat.
3. Tatsächlich habe ich dort viele wunderbare, spannende, gebildete, kultivierte Menschen getroffen, keine „Vampire“, und die paar kleinen Banditen luden mich zum Feiern ein.
Mein Traum war es, im Kulturhaus im großen Theatersaal mit den einheimischen Talenten „Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt zu inszenieren. Das Theaterstück hätte gut in die Siedlung gepasst. Alle träumten dort mal von reichen Sponsoren, die Arbeitsplätze schaffen könnten. Aber eine dunkle Vergangenheit verhinderte das freie Denken. Schauspielerische und musikalische Talente gab es allerdings genug, und im Winter war Zeit, da konnten viele Arbeiten nicht verrichtet werden.

Und jetzt? In Velika Novosilka steht kaum noch ein Haus, es sind kaum noch Menschen da. Wer wird zurückkehren, wenn die Siedlung befreit sein wird und die Gegend einigermaßen sicher sind? Sie hatten erst vor einigen Jahren eine wunderschöne Sportanlage gebaut und die Schule modernsiert.

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Themen: Russland - Ukraine

Ein Kommentar to “Erinnerungen an Velika Novosilka / Donbas”

  1. M.F. schreibt:
    13th.Juli 2023 um 13:45

    Hallo Herr Brumme, vielen Dank für Ihren interessanten Artikel. Habe Sie gerade erst „entdeckt“, jetzt muss ich noch alles andere lesen … danke!

    Von Velika Novosilka hatte ich zuerst durch ein kleines Freiwilligenteam gehört. Die waren vor sieben Monaten dort, um zu schauen ob es noch jemanden gibt, der evakuieren will. Es war aber schon damals fast niemand mehr dort. Es gibt ein kurzes Video davon bei YouTube – Sie finden es schnell, wenn Sie nach dem Kanal von André West – sar_kd – suchen. Wenn man den Ort kennt, ist es aber sicherlich ein deprimierender Anblick. Ich hoffe so sehr, dass bald alles befreit ist, mit dem Wiederaufbau begonnen werden kann und die Menschen zurückkehren …

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