Berlin, 10.07.2023

Deutschland ist ein Land im Frieden, das merkt man gleich. Die Menschen sehen nicht prüfend zum Himmel. Sie befürchten nicht, dass von dort etwas geflogen kommt, das sie töten kann – schneller als sie sehen können. Sogar Bundeswehrsoldaten stehen auf dem Bahnsteig in der Sonne, statt im Schatten. Sie fürchten nicht den Anflug einer Drohne, die sie zerfetzen kann. Niemand schreckt zusammen, wenn ein schrilles, pfeifendes Geräusch ertönt; alle wissen, dass es nicht von einer Rakete erzeugt wird.
Die Leute sehen sogar dann nicht zum Himmel, wenn Hubschrauber über sie hinwegfliegen. Sie prüfen nicht, ob es eigene oder feindliche Hubschrauber sind, ob sie den Tod bringen könnten.
Ich schlafe hier durchschnittlich zwei Stunden länger als sonst. Keine Sirenen unterbrechen meinen Schlaf, und ich lese nachts nicht die Warnungen vor den Raketenangriffen.
Erstaunlich und irritierend ist auch, wer am Sieg der Ukrainer zweifelt, an der Möglichkeit und Notwendigkeit der Befreiung des gesamten Territoriums von den russländischen Okkupanten. Selbst sehr kluge, „vor Geist sprühende“, umfassend gebildete und relativ gut informierte Intellektuelle – zweifeln. Ich muss dann meistens kichern, weil es so absurd und so komisch ist, wie ihr Denk-Niveau rasend schnell sinkt. Reden sie über Themen, in denen sie kompetent sind, aufgrund jahrelanger Erfahrungen, so denken sie etwa drei Mal klüger als über das „Thema Ukraine“.
Manchmal verweise ich dezent auf Kant und Hegel und erinnere an einige der klassischen Fragen aus der Aufklärung und dem Deutschen Idealismus: Was kann ich erkennen und wissen? Über welche Urteilskraft verfüge ich? Kenne ich die Fachliteratur? Wie unterscheide ich Meinung und Urteil? Ist nicht die sinnliche Erfahrung Voraussetzung für das Erkennen? Sollte man nicht Landes- und Sprachkenntnisse haben, wenn man sich anmaßt, über das Verhalten der Ukrainer zu urteilen, die für ihr Überleben kämpfen? Wer von den westlichen (deutschen) Schwätzern war je in solch einer Situation? Wer war jemals Geisel von Terroristen? Wer musste um sein Leben zittern, weil andere Zweibeiner sie töten wollen, weil denen das Spaß macht, weil sie es genießen über Leben und Tod entscheiden zu können. Killen wie im Computerspiel, ist das geil. Und das Publikum im Ausland senkt oder hebt die Daumen.

Themen: Russland - Ukraine

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