Ostdeutscher Chronist des Krieges – Talk zu Krieg und Frieden

Nachgreicht: Bericht aus der Leipziger Volkszeitung
Ostdeutscher Chronist des Krieges – Talk zu Krieg und Frieden
Autor Christoph Brumme (60) lebt und arbeitet in der Ukraine. Bei einer Gesprächsrunde begrüßt er die Waffenlieferungen des Westens in seine Wahlheimat.
Ob er keine Angst vorm russischen Geheimdienst habe? „Sagen wir mal so – mit Unbekannten trinke ich keinen Tee, und meine Unterhosen wasche ich selber.“ Das Lachen bleibt den Zuhörern im Halse stecken. Sie spüren, plötzlich ist der Krieg in der Ukraine sehr nah.

Vor ihnen steht ein Mann, der den Beginn der „Großen Invasion“ früher als andere vorhersagte. Autor Christoph Brumme, ursprünglich aus Wernigerode, lebt seit sieben Jahren in Poltawa, 120 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Bewusst entschied er sich zu bleiben: „Dort möchte ich mit den Ukrainern den Tag des Sieges feiern.“
Russlands Plan, die Ukraine als Staat auszulöschen, werde scheitern – davon ist er überzeugt. In Büchern, Artikeln und Interviews wirbt er für die Unterstützung seiner Wahlheimat, auch mit Waffen.
In Ostdeutschland fordern manche Friedensverhandlungen mit Russland. Auch er sei im Osten sozialisiert und verstehe diese Denke, sagt Brumme. „Ja, der gewaltlos erzwungene Fall der Mauer war der schönste Moment meines Lebens. Doch in der Ukraine ist jetzt nicht die Zeit für Kerzen.“
„Frieden schaffen ohne Waffen“ – mit Blick auf die Ukraine empfinde er den Spruch als kindlich naiv: „Im Unterschied zu den Ukrainern mussten die Deutschen niemals gegen einen Feind kämpfen, der sie vernichten wollte.“ Genau darum gehe es jetzt, sagt Brumme: „Eine barbarische Tyrannei gegen eine freie Demokratie.“
In Schierke, der Sperrzone in Richtung Westdeutschland, ging Christoph Brumme zur Schule. Er wollte der jüngste Schriftsteller der Welt werden. Mit 13 begann er seinen ersten, unvollendet gebliebenen Roman „Verschollen im Atlantischen Ozean“. Drei Jungen auf den Spuren von Robinson Crusoe.
Doch inzwischen lebt nicht auf der einsamen Insel, sondern im freiesten Land der Welt, wie er sagt. Ein schwacher Staat als große Stärke: „Die Ukrainer helfen sich selber. Man braucht fast kein Geld. Der eine gibt Kartoffeln, der andere hat Fleisch und Früchte.“
Das Paradies ist mittlerweile der Hölle gewichen. 80 Prozent der Ukrainer hätten Freunde und Verwandte, die entweder ums Leben kamen oder verwundet wurden, heißt es. Auch Christoph Brumme trauert um einen Freund: „Der Abgeordnete aus dem Stadtparlament erlag seinen schweren Verwundungen.“
Der deutsche Autor hält wenig von dieser „Buchhaltung des Todes“. Im Krieg habe man gelernt, im Hier und Jetzt nur das zu wissen, was nötig ist. Frau und Kind seien in Berlin in Sicherheit. Er halte zu Hause die Stellung und schreibt. „Im Schatten des Krieges“, heißt sein aktuelles Buch.
Ein gutes Dutzend Bücher hat er inzwischen veröffentlicht. Darunter auch „111 Gründe, die Ukraine zu lieben“. Er kennt sowohl die Ukraine als auch Russland „von unten“. In seiner Midlife-Crisis setzte er sich 2007 in Berlin aufs Fahrrad und tourte sechs Jahre hintereinander an die Wolga nach Saratow.
Seit 2016 lebt er in jener geschichtsträchtigen Stadt, in der Zar Peter I. 1709 über die ukrainischen Kosaken und die Schweden obsiegte. „Die Schlacht von Poltawa markiert den Beginn einer 300-jährigen russischen Kolonialgeschichte“, sagt Brumme.
Was die Hauptgründe für den Ukraine-Krieg seien, wird Brumme gefragt: „Eine freie, erfolgreiche Ukraine empfinden die Russen als tiefe Kränkung. Und in der Ukraine sind Immobilien, Fabriken und Restaurants oft in russischer Hand. Die Furcht ist groß, diesen nicht selten halblegalen Besitz unter rechtsstaatlichen Vorzeichen zu verlieren.“
Brumme: „Noch 2020 belieferte Deutschland den Aggressor Russland mit Militärtechnik im Wert von 700 Millionen Euro. Wo blieb da der Aufschrei?!“ Eine Rakete habe sein Haus nur knapp verfehlt. „Im vorigen Jahr hatten wir pro Tag zehnmal Luftalarm. Dank der westlichen Abwehrtechnik heult die Sirene jetzt nur noch halb so oft.“
Putin träume von Groß-Russland, er wolle die EU spalten und sein demografisches Problem lösen. „Nicht umsonst werden etliche Ukrainer deportiert, darunter viele Kinder.“ Die Ukraine sei rohstoffreich und gelte als Kornkammer Europas. Außerdem eigne sich der Krieg, um von innenpolitischen Versäumnissen in Russland abzulenken.
„Die meisten politischen Sendungen im russischen Staatsfernsehen beschäftigen sich mit der Ukraine. Dort regiere angeblich eine faschistische Junta, es sei ein Genozid an den Russen im Gange, und die russische Sprache sei verboten: „Was für ein Unsinn“, sagt Brumme. Die Ukraine sei ein zweisprachiges Land.
Ob bald Frieden werde, fragen Besucher der Lesung: „Das ist die 100-Millionen-Dollar-Frage“, antwortet Brumme. „Ich hoffe, dass die Russen keines ihrer Kriegsziele erreichen.“ Die Ukrainer stünden fest zusammen und liebten nichts so sehr wie die Freiheit: „Wenn es sein muss, wehren sich die Großmütter mit Bratpfannen.“

Bericht: Von Haig Latchinian

Themen: Russland - Ukraine

Ein Kommentar to “Ostdeutscher Chronist des Krieges – Talk zu Krieg und Frieden”

  1. ein Berliner schreibt:
    11th.Oktober 2023 um 21:25

    Zitat: „… Dank der westlichen Abwehrtechnik heult die Sirene jetzt nur noch halb so oft.“ – Die permanente Lebensgefahr ist allgegenwärtig, denn nicht immer ertönt die Warnsirene bei Angriffen aus der Luft, und der Zeitraum zwischen Beginn des Luftalarms und den Einschlägen der Geschosse kann zu kurz sein einen Schutzraum aufzusuchen, sofern vorhanden. Die Reduzierung auf eine Zweisprachigkeit in der Ukraine, lässt den Fremdsprachenunterricht in Schulen, Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen außer Acht.

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