Über ein Kommentar im DLF

„Wer sich nicht Augen und Ohren zuhält, der spürt in diesem November in der Ukraine, wie sich die Stimmung wandelt“, erzählt Moritz Gathmann im Deutschlandfunk nach einigen Tagen Aufenthalt in der Ukraine.
Das Land sei „ein Kessel“, in dem „zu brodeln beginnt“, „die Konflikte innerhalb der Gesellschaft nehmen zu“, „die Menschen fragen sich zunehmend, wohin soll das führen“, so Gathmann.
Es werde „ein Krieg mit unklarer Perspektive“ geführt. „Präsident Selenski sollte beginnen, seinen Bürgern reinen Wein einzuschenken. Den erträumten großen Sieg wird es nicht geben.“

Als jemand, der seit Jahren in der Ukraine lebt, möchte ich den Einschätzungen des Kollegen Gathmann widersprechen.
„Die Stimmung“ ändert sich im Krieg ständig, in jedem Einzelnen, auch im unüberblickbaren Organismus der Gesellschaft. Ich selbst habe neulich geweint, als ich vom Tod eines guten Bekannten erfuhr. Aber trotz des Krieges lachen wir zusammen mit Freunden oft, erzählen stundenlang Witze und Anekdoten, sind manchmal sogar fröhlicher und ausgelassener als vor dem Großen Krieg, aus Trotz und um „die ganze Schei …“ mal kurz vergessen zu können.
Was die „Grundstimmung in der Gesellschaft“ angeht, so ist es wohl besser, diese nicht nur zu spüren, sondern auch an Fakten zu messen.
In der letzten Umfrage Mitte September glaubte eine übergroße Mehrheit (90 Prozent) der Ukrainer daran, dass ihre Armee das gesamte Gebiet der Ukraine zurückerobern kann, nur 6 Prozent glauben das nicht. Da lassen sich die politische Führung des Landes und die Bevölkerung auch nicht auseinanderdividieren.
Gathmann aber meint, „der brutale Stellungskrieg ist für die Ukraine nicht zu gewinnen“. 90 Prozent der Ukrainer halten sich also die Augen und Ohren zu.
Der Krieg ist auch nicht nur ein Stellungskrieg am Boden.

„Die Wahrheit ist, dieser Krieg mit einem Unentschieden enden (wird)“, sagt Moritz Gathmann, „einem Einfrieren der Frontlinie und einer ausgeklügelten politischen Formel zur Frage, welchen Status die von Russland besetzten Gebiete haben werden. Wir tun den Ukrainern heute keinen Gefallen damit, ihnen großmäulig vom Sieg zu erzählen.“
Wird die Perspektive mit der Behauptung eines „Unentschiedens“ klarer? Von wie vielen Faktoren hängt die Kampfkraft ab? Viele sind der Öffentlichkeit gar nicht bekannt. Die übergroße Mehrheit der Ukrainer ist jedenfalls nicht bereit, ihre Mitmenschen in den besetzten Gebieten im Stich zu lassen.

Irgendwelche Anzeichen fürs „Brodeln im Kessel“ kann ich nicht erkennen. „Wohin soll das führen“ fragen sich die Menschen derzeit nicht „zunehmend“, sondern vom ersten Tag an. Solange Putin-Russland die Angriffe auf die Ukraine nicht einstellt und die Propagandisten in Moskau ihre Hassgesänge nicht beenden, wird diese Frage aktuell bleiben. Dass der Krieg eine „unklare Perspektive hat“, liegt in der Natur der Sache.
Wie könnte man Russland dazu bringen, seine Vernichtungsabsichten aufzugeben? Und wer könnte das wie? Gathmann schlägt vor: „Wir sollten (zusammen) mit einem langfristigen Plan für die Ausbildung der Soldaten und der Lieferung schwerer Waffen das Signal an Putin senden: Hier geht es nicht weiter für ihn.“
Putin liebt solche Signale. Man sagt ihm „Du, du, du“, und dann freut er sich. Aber er wird deshalb nicht Russlands Verfassung ändern, in der schon jetzt festgeschrieben ist, dass ukrainische Gebiete zu Russland gehören, die Russland gar nicht besetzt hat.

Die traurige Wahrheit ist leider, dass die Ukrainer um ihr Überleben kämpfen, auch in verzweifelter Stimmung. Der Kriegsherr im Kreml und seine Mafia-Geheimdienst-Clique und seine Propagandisten werden gar nichts einsehen, sondern Signale der Stärke immer nur höhnisch verlachen, wie sie das täglich in ihren Propaganda-Shows machen und machen lassen. Man kann mit diesen Leuten keine substantiellen Kompromisse eingehen, weil sie zur Wahrheit nur ein taktisches Verhältnis haben und ihnen das Lügen Spaß macht, es ist ja Teil der Kriegsführung.

Kommentar DLF

Themen: Russland - Ukraine

3 Kommentare to “Über ein Kommentar im DLF”

  1. Andreas Moser schreibt:
    28th.November 2023 um 11:57

    Mich nerven eh alle Kommentare, die insinuieren, es sei irgendwie die Entscheidung der Ukraine, ob der Krieg andauert oder nicht.

  2. Honigdachs schreibt:
    28th.November 2023 um 12:03

    Ja, so ist es auf den Punkt gebracht.

  3. ein Berliner schreibt:
    9th.Dezember 2023 um 20:20

    Die Luftlinie von Berlin bis ins russisch besetzte Donezk beträgt rund 1.800 Kilometer. Dazwischen befinden sich mMn keine verteidigungsfähigen Staaten, die dem ru. Militär widerstehen könnten. „ENTTÄUSCHUNG IST SCHLIMMER ALS WUT!“ lautet ein Artikel unter https://piske.de/unsere-meinung/enttaeuschung-ist-schlimmer-als-wut/ Offen gesagt, wähle ich als deutscher Staatsbürger bis auf Weiteres eine Tierschutzpartei, denn diese kann mich nicht wegen fehlender christlicher Nächstenliebe und sozialer Empathie enttäuschen.

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