Wort zum Sonntag

Ich spreche mit einem langjährigen Freund aus Bamberg über die politischen Extreme der letzten Zeit. Was mich als ehemaligen Ostdeutschen natürlich besonders beschämt ist die breite Zustimmung in der ostdeutschen Bevölkerung für die sogenannte „Alternative für Deutschland“, eine Putin-freundliche Partei mit kruden und bierseligen Umsturzfantasien. Wenn sie an die Macht käme, würde sie wohl zuerst die Gewaltenteilung im Staat abschaffen wollen – „Und dann gute Nacht, Marie!“.

Neulich sah ich zufällig bei einem früheren Freund aus Sachsen-Anhalt, dass er Volksvertreter als „Volkszersetzer“ bezeichnet. Er würde nie die Nazis wählen, erzählte er mir vor Jahren, „nur“ die Diktatur-freundliche Partei „Die Linke“. Und die zustimmenden Kommentare im AfD-Jargon unterzeichnet er doch mit Likes.
Diese Diktatur-Freundlichkeit ist mir völlig fremd, diese Unlust an der Freiheit, das ständige Schimpfen auf „die Politiker“, als ob eine Gesellschaft sich ohne Politik organisieren könnte. Manchmal hat man den Eindruck, alle wollen alles. Wahrscheinlich das wichtigste Kennzeichen unserer Epoche: Immer mehr Menschen haben immer mehr Interessen, Wünsche und Möglichkeiten – und finden keine Grenzen. „Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist“, sprach Gott der HERR bekanntlich vor langer Zeit. Und er hat keine Zweifel mehr und abhanden gekommen ist ihm die Dankbarkeit im Prozess seiner Gottwerdung, die Dankbarkeit für das Leben, für die Schönheit und Vielfalt.
Und darin waren wir uns einig, der eingangs erwähnte Freund aus Bamberg und meine Wenigkeit. Die Dankbarkeit leben zu können, gesund zu sein und mit interessanten Menschen befreundet sein zu können, die unendlichen Möglichkeiten des Internets nutzen zu können, unendliche viele Bücher lesen und unendlich viele Filme sehen zu können, all das ist doch die Basis für ein einigermaßen erfülltes Dasein.
Für mich, der jetzt im Krieg lebt, sehe ich sogar eine Pflicht zur Dankbarkeit, nämlich denen gegenüber, die ihr Leben riskieren und die ihr Leben gegeben haben, damit wir hier im Hinterland der Fronten weiterhin leben können. Und das sage ich, während hier soeben wieder Luftalarm ausgelöst wurde. Völlig unverständlich, dass in so sicheren, friedlichen, reichen Ländern wie Deutschland nicht alle Menschen jeden Tag niederknien und Danksagungen singen.

Themen: Russland - Ukraine

6 Kommentare to “Wort zum Sonntag”

  1. Antwort Teil 1 schreibt:
    14th.Januar 2024 um 19:11

    Eine tiefsinnige und zugleich abschließende Antwort zum Sonntag würde weit über den Rahmen der Kommentare hinausgehen. Daher meine Meinung nur zu einigen Aspekten. Das Deutsche Grundgesetz und die Verfassungen der Länder sind im Kern unantastbar wie die Menschenwürde. Wer daran rütteln will, sollte erst einmal Mut zum Urlaub im noch okkupierten Teil der Ukraine aufbringen. Jede Wette, dass dann der Sinn der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Deutschlands erkannt wird.

  2. Antwort Teil 2 schreibt:
    14th.Januar 2024 um 19:53

    Wertschätzung und Dankbarkeit schließen einander nicht aus. Sollte man jedoch gegenüber Politikern (m/w/d) dankbar sein, die die menschlichen Werte des Grundgesetzes ignorieren und dafür monetäre Maßstäbe anlegen? In Deutschland sicher und gesund zu sein, ist nicht bei Menschen selbstverständlich, die permanenter Überlastung und existentiellen Bedrohungen ausgesetzt sind.

  3. Honigdachs schreibt:
    15th.Januar 2024 um 09:33

    Politikern gegenüber sollte man nicht dankbar sein, die sollten ihre Arbeit machen wie andere auch. Die Personalisierung von geselllschaftlichen Konflikten und Widersprüchen ist ohnehin nicht erkenntnisfördernd.

  4. Realist schreibt:
    19th.Januar 2024 um 21:03

    Wer unter Einsatz von persönlichen Opfern mehr leistet als das Notwendige und/ oder Dienst nach Vorschrift, hat mMn Dank verdient. Betreff der Personalisierung von Verursachern gesellschaftlicher Konflikte und Widersprüche, bin ich einer anderen Meinung. Denn wer in einer Führungsposition unnötigen Stress und Probleme hervorbringt, sollte beim Namen genannt werden. Wie sonst sollte Unfähigkeit zur Rechenschaft gezogen werden können?

  5. ein Leser des Blogs schreibt:
    12th.Februar 2024 um 02:35

    Guten Tag
    wenn man auf den Link Lesetips „einmal Wolga und zurück“ klickt kommt etwas, was ich nicht verstehe:
    Ein Artikel in der NZZ. Die Schweizer Kunstturner im WM-Mannschaftsfinal

  6. Honigdachs schreibt:
    12th.Februar 2024 um 08:14

    Vielen Dank für den Hinweis. Da hat jemand bei der NZZ offenbar gebastelt.
    Hier ist der richtige Link:
    https://www.nzz.ch/einmal_wolga_und_zurueck-ld.468267

Kommentare

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