Zwei Erinnerungen

Katja aus Russland sieht uns entsetzt an, ihren dänischen Mann und mich. Ein Betrunkener ist im Berliner Monbijou-Park über unsere Decke gestolpert. Er hat eine Bierflasche über unsere Köpfe hinweg ins Gebüsch geworfen. Und wir verprügeln ihn nicht, wie das Männer in Russland machen würden, versichert uns Katja.

Für sie sind wir westliche Weicheier, keine richtigen Kerle. Wir versuchen den aggressiven Mann zu beruhigen und drohen ihm nur mit Worten. Bald darauf wird Katja sich von ihrem pazifistischen Westler scheiden lassen. Jemand, der Hooligans nicht verprügeln kann wird schwache Kinder zeugen, sagt sie.

In Samara an der Wolga raucht eine Frau am Busbahnhof in einer rauchfreien Zone. Von hinten nähert sich ihr ein Polizist, nimmt ihr wortlos die Zigarette aus der Hand, über ihrem Kaffeebecher lässt er sie fallen. Die Zigarette saugt sich mit Kaffee voll und versinkt. Hier ist rauchen verboten, sagt der Polizist. Die Frau nickt, nimmt ihre Tasche und geht weg.
Das war bestimmt eine Prostituierte, vermutet die Leiterin der Internationalen Bibliothek, als ich ihr diese Episode erzähle. Der Polizist habe richtig gehandelt, er habe der Frau Ärger erspart. Er hätte auch eine Strafe kassieren und ein Protokoll schreiben können. Aber diese Erziehungsmaßnahme mit der Zigarette sei praktisch und nützlich, und bestimmt wirksamer gewesen.

Das Recht des Stärkeren ist in Russland allgegenwärtig. Die Idee, dass jeder Mensch eigene, gesetzlich verbriefte Rechte hat, gehört ins Reich der fantastischen Literatur. Harmlose Bürger können auf der Straße aus statistischen Gründen verhaftet werden, wenn die Polizei Erfolge im Kampf gegen das Verbrechen braucht. Sie kann sich ja nicht selbst verhaften.

Wichtiger Unterschied: „Wenn ein Mann seine Frau schlägt, dann zeigt er damit, dass er sie liebt.“ Dieses meistens lachend vorgetragene Sprichwort ist in Russland ziemlich beliebt. Wie auch andere Frauen verachtenden. In der Ukraine sind solche Sprüche tabu, auch in Männergesellschaften. So scherzt man hier nicht, es wird in der Gesellschaft nicht akzeptiert, in keiner Region und keinem Milieu. Es herrscht faktische Gleichberechtigung. In der Volkskultur und Folklore ist die Ukraine oder das Ukrainische oft ein idealisiertes weibliches Wesen.

Themen: Russland - Ukraine

Ein Kommentar to “Zwei Erinnerungen”

  1. Realist schreibt:
    11th.März 2024 um 17:05

    In der Ukraine gelten ca. 31.000 Menschen offiziell als vermisst. Jedes einzelne Schicksal hält unzählige Erinnerungen bei ihren Familien und Freunden wach. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-vermisstensuche-100.html — In Deutschland gilt das Völkerstrafgesetzbuch, wonach das Verschwindenlassen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert ist. Die Verfolgung von Verbrechen nach diesem Gesetz und die Vollstreckung der wegen ihnen verhängten Strafen verjähren nicht.

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