Interview mit HR1

Ein verkaterter Morgen in Poltawa, ich höre der Faktenverdreherei eines in Deutschland sehr beliebten Demagogen zu, ärgere mich über den Unsinn, den er über die Ukraine unwidersprochen erzählt, und über den Beifall, den er dafür in Talk-Shows immer wieder erhält, einer der Unschuldigen mit blutigen Händen – da heulen bei uns wieder die Sirenen, die Apps warnen vor anfliegenden Raketen – und der Hessische Rundfunk ruft mich an für ein vereinbartes Interview.
Nun ja, das wurde ein „emotionales“ Gespräch anlässlich des makabren „Jubiläums“ Zwei Jahre Großer Krieg. „Man merkt, dass Sie sauer sind“, meinte die Moderatorin. Stimmt, das war ich und bin ich.

Hessischer Rundfunk: Zwei Jahre, so lange ist es jetzt schon her, seit Russland die Ukraine angegriffen hat. Und plötzlich Krieg mitten in Europa war. Die Schockstarre ist längst vorbei, viele Menschen in der Ukraine arrangieren sich mit der täglichen Gefahr, was bleibt ihnen auch anderes übrig. Auch der Schriftsteller Christoph Brumme tut das, der in der ostukrainischen Stadt Poltawa lebt. Guten Morgen.
CB: Guten Morgen.
HR: Herr Brumme, Sie leben seit 2016 in der Ukraine, und Sie wollen auch bleiben. Das können wir uns von Deutschland aus ganz schlecht vorstellen. Wieso harren Sie dort aus und brechen nicht alle Zelte ab angesichts der Gefahr, die ja auch um sie herum ist?
CB: Es ist meine Wahlheimat, und ich möchte mich nicht von Herrn Putin vertreiben lassen. Und ich hätte auch ein schlechtes Gewissen, wenn ich eine Freunde im Stich lassen würde. Und ich könnte auch nicht in Deutschland leben. Ich verfolge ja auch die Diskussionen in Deutschland, und das tut schon weh, das mitanzuhören, da würde ich wahrscheinlich ein bisschen verrückt werden, wenn ich dort leben würde. Hier achte ich und schätze ich die Klarheit der Ukrainer, das tut gut.
HR: Welche Diskussionen in Deutschland sind das, die Ihnen weh tun?
CB: Zum Beispiel das Spitzengespräch im SPIEGEL, wo Herr Gysi zum wiederholten Male erzählt hat man könnte ja Frieden mit Putin schließen, wenn man ihm unter anderem anbieten würde die russische Sprache in der Ukraine wieder zuzulassen. Und niemand widerspricht ihm. Ich spreche den ganzen Tag Russisch, mein heute 13-jähriger Sohn hatte am Anfang des Krieges noch Russischunterricht in der Schule. Umgekehrt, in den Russisch okkupierten Gebieten ist es lebensgefährlich Ukrainisch zu sprechen. Darüber spricht man nicht. Und dann diese ungeheure Diskussion, ob die Ukrainer den Krieg noch gewinnen können. Das wirkt aus ukrainischer Perspektive, ehrlich gesagt, ziemlich zynisch und, ja, obszön. Der Westen hat seine Zusagen nicht eingehalten, der Westen liefert nicht die versprochene Menge an Artilleriemunition, und in Deutschland diskutiert man auf dem bequemen Sofa darüber, ob die Ukrainer die Fähigkeiten haben, den Krieg weiterzuführen. Das ist grotesk.
HR: Also die Gefahr, dass das von Putin als Eskalation gesehen wird, wenn zum Beispiel Deutschland Taurus-Marschflugkörper liefert, ist das für Sie kein reales Szenario, dass man da auch ein bisschen Angst hat in Deutschland?
CB: Das Problem ist, dass man im Westen immer noch nicht Putins wichtigstes Kriegsziel verstanden hat. Das ist die Durchsetzung des Faustrechts. Putin geht es nicht um Territorium. Das Verbrechen selbst ist die Botschaft. Das Exportprodukt ist Angst. Putin genießt es den Westen einzuschüchtern. Und in Deutschland wird in der Regel moralisch oder juristisch über den Krieg, mit dem Völkerrecht, oder es wird die Stimmung erforscht, als wenn der Krieg ein Karneval wäre. Ukrainer finden diese Frage völlig verrückt, nach der Stimmung im Krieg zu fragen. Es ist wichtig die Qualität des Bösen zu erkennen, die dieses Putin-Russland verkörpert. Und dann entsprechende Handlungsoptionen zu entwickeln, und nicht moralisch und juristisch zu diskutieren.
HR: Sagt der Schriftsteller Christoph Brumme, der in der Ukraine lebt. Zwei Jahre dauert der Krieg in der Ukraine jetzt schon an, großes Thema heute hier in HR 1. Herr brumme, sie finden es völlig daneben, wenn man nach der Stimmung in der Ukraine fragt, die täglich bombardiert wird. Aber erzählen Sie uns doch, wie sieht das Alltagsleben aus, mitten im Krieg?
HR: Für Kinder ist es unglaublich schwer hier zu sein. Vor einigen Minuten haben die Sirenen wieder geheult und es wurde vor anfliegenden Raketen gewarnt. Das ist natürlich furchtbar und Teil des Psychoterrors. Aber kapitulieren ist keine Lösung, keine Alternative. Was die Ukrainer leisten ist Notwehr, seit zwei Jahren Notwehr. In den Morgennachrichten wurde gemeldet, die Schulen sind morgen und übermorgen geschlossen, es wird nur auf Distanz unterrichtet, weil die Eltern zu Recht fürchten, dass zu diesem makabren Jubiläum besonders viele Raketenangriffe stattfinden. Das ist unser Alltag.
HR: Ein makabres Jubiläum, Sie haben es gesagt. Zwei Jahre dauert dieser Krieg. Haben Sie damals, als es losging mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine, geglaubt, dass das so lange dauern wird?
CB: Ich habe ja öffentlich darüber geschrieben, dass der Krieg viele Jahre, wahrscheinlich zehn bis zwölf Jahre dauern wird. Der Krieg im Donbas dauerte acht Jahre, da haben die Deutschen fleißig den faschistoiden Aggressoren aus Russland geholfen und Militärtechnik exportiert, mit freundlicher Genehmigung der Bundesregierung übrigens. Und jetzt wird diskutiert, ob man den Ukrainern helfen soll ohne zu verstehen, dass man dabei sich selbst hilft. Also das ist verrückt.
HR: Ich höre das raus, dass Sie richtig sauer sind auf die Bundesregierung. Was fordern Sie, was muss passieren?
CB: Es muss zumindest erst mal die Ukraine-Hilfe zentral koordiniert werden. Vor einigen Tagen sagte der Minister Habeck, die Regierung weiß gar nicht wie viele Artilleriegeschosse in den letzten zwei Jahren in Deutschland produziert wurden. Wie will man dann Planungssicherheit schaffen? Die Ukrainer sterben, weil die Deutschen, ja nicht nur die Deutschen, auch die Westler insgesamt die Ukraine nur halbherzig unterstützen. Weil sie eigentlich im Nebel herumstochern und keine genauen Analysen erstellen.
HR: Kann denn die Ukraine diesen Konflikt gewinnen, den Krieg gewinnen?
CB: Das hängt vom Verhalten des Westens ab. Wenn man das hochrechnet, die Ukraine-Hilfe, die die Deutschen leisten pro Kopf der Bevölkerung, das sind ein paar Euro im Monat. Ist Ihnen der Frieden in Europa zehn Euro im Monat wert? Beantworten Sie die Frage doch für sich selbst. Wenn ja, dann wird die Ukraine den Krieg gewinnen. Aber wenn Ihnen zehn Euro im Monat zu viel sind wird das nicht der Fall sein.
HR: Sagt der Schriftsteller Christoph Brumme, der in der ostukrainischen Stadt Poltawa lebt. Vielen Dank Herr Brumme für das Gespräch heute in HR1. Und alles Gute für Sie.
CB: Vielen Dank.

PS: Mitschnitt des Interviews, das am Freitag, den 23.02., bei hr1 am Morgen gesendet wurde.

Themen: Audio / Аудио / Interviews, Russland - Ukraine

Ein Kommentar to “Interview mit HR1”

  1. Realist schreibt:
    18th.März 2024 um 17:40

    Zwischenzeitlich hat sich eine wesentliche Verbesserung in der Versorgung mit Artilleriemunition für die Ukraine offenbart. — https://www.n-tv.de/politik/Tschechien-findet-offenbar-noch-viel-mehr-Granaten-fuer-Kiew-article24812000.html Korruption ist nach wie vor ein enormes Problem: NACP has drawn up more than hundred administrative protocols and conclusions on corruption offenses of people’s deputies, most of them against Servants of people. INFOGRAPHICS Source: https://censor.net/en/n3479279 P.S. An ihren Taten sollt ihr sie erkennen! (1. Johannes 2,1-6)

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