August-Reise nach Deutschland
Poltawa, 05.07.2024
Nächste Aufgabe: Meine August-Reise nach Deutschland vorbereiten. Wie auch in den letzten beiden Jahren denke ich vor diesen Sommerreisen in manchen Stunden: „Eigentlich möchte ich das nicht“.
Aber ich bin nicht so stur wie Bartleby der Schreiber. Man weiß nicht, warum Bartleby seine Pflichten nicht erfüllen möchte, warum er wie Kafkas Hungerkünstler lieber die Nahrung verweigert – aber diesen Suizid auch nicht als Kunstwerk und Performance verkauft, wie die echten damaligen Hungerkünstler.
(Laut der deutschen Wikipedia endete nach dem Erste Weltkrieg die Hungerkunst in Europa für eine Weile, aber in den 1920er Jahren war sie schon wieder im Trend. „Im Jahr 1926 löste der deutsche Hungerkünstler Jolly mit seinem Auftritt in Berlin einen wahren Boom aus, nachdem er im Frühjahr mit 44 Tagen einen „Hungerrekord“ aufgestellt, rund 350.000 Besucher (!) angelockt und etwa 130.000 Reichsmark (entspricht in heutiger Kaufkraft ca. 590.000 €) kassiert hatte.») –
Ich fürchte einfach wieder, dass ich diese Unschuld in Deutschland fast nicht ertragen kann. Ich verstehe, warum sich Menschen unschuldig fühlen, obwohl sie nichtsahnend Böses tun. Nicht nur der Krieg beruht auf Arbeitsteilung. „Der Abgrund hat keine Decke“, wie schon Hiob wusste. (Hi 26,6 „Das Totenreich ist aufgedeckt vor ihm, und der Abgrund hat keine Decke.“)
Wie gut, dass diese dunklen Stunden auch wieder vorbeigehen. Eine meiner wichtigsten Prinzipien lautet doch: Das Dasein so gut wie möglich genießen. Der Krieger W. genießt ein Wochenende unter Freunden und bei seiner Mama, dann fährt er wieder in die Todeszone, nimmt seine Position ein, 60 Meter vom Feind entfernt, der ihn töten will. Und er lacht über sein tödlich absurdes Leben. Ein Vorbild für mich, ich betrachte mich als seinen Schüler, obwohl ich weiß, dass das vermessen ist.
Außerdem fahre ich ja nach Deutschland, weil ich mir nahe Menschen treffen möchte, vor allem meinen Sohn, der für mich auch in vielerlei Hinsicht ein Vorbild ist, nicht zuletzt aufgrund seiner Tapferkeit.
Ein Freund hier fürchtete, ich würde diesmal nicht zurückkehren. Nee, mein Lieber, da kennst du mich schlecht.
„Im Finstern wohnen
Die Adler und furchtlos gehn
Die Söhne der Alpen über den Abgrund weg
Auf leichtgebaueten Brücken.
Drum, da gehäuft sind rings
Die Gipfel der Zeit, und die Liebsten
Nah wohnen, ermattend auf
Getrenntesten Bergen,
So gib unschuldig Wasser,
O Fittige gib uns, treuesten Sinns
Hinüberzugehn und wiederzukehren.»
Hölderlin, Friedrich
Patmos. Dem Landgrafen von Homburg
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