Heiße Eisen, nasse Sachen – Handwerk der Spionage in diesem Krieg
Poltawa, 29.09.2024
Ich sehe seit Wochen die Videos von E.M. aus dem Chatroulette. Ein Ukrainer, der vorgibt ein Oberst aus ruzzland zu sein. Er spielt die Rolle perfekt, sitzt in Camouflage vor der Kamera, im Hintergrund ein Foto vom putler. Er beherrscht die Jargons der ruzzkis, „verbrüdert“ sich rasch mit ihnen, verführt sie zum Trinken. Selbst russländische „Krieger“, die anfangs mit verhülltem Gesicht mit ihm sprechen, ziehen nach einigen Minuten ihre Masken ab, so überzeugend spielt E.M. ihnen vor, er sei einer der Ihren. Er macht ihnen Komplimente, lädt sie in seine angeblichen Restaurants in Moskau und Rostow-na-Donu ein. Und so plaudern sie mit ihm, gestehen Kriegsverbrechen, die Erschießung von Gefangenen.
Viele verraten ihm ihre echten und ihre Kriegernamen, ihre Aufenthaltsorte, oft auch ihre Telegramm-Adressen und Telefonnummern – weil er sie ja in seine Restaurants einladen will, angeblich. Manchen besonders ekelhaften Typen verrät er am Ende des Gesprächs seine wahre ukrainische Identität, manchen droht er, dass ihre Stellung in wenigen Minuten von einer Rakete getroffen werden wird, da sie ihm ja ihre Koordinaten verraten haben. Manche schockiert er, indem er Fotos von ihnen und ihren Verwandten zeigt, die er während des Gesprächs aus seinen Datenbanken herausgesucht hat.
Das Verrückte ist: Das alles funktioniert immer wieder, obwohl er die Videos veröffentlicht; man kann sie auch auf YouTube sehen. Es spricht sich unter den ruzzkis offenbar nicht herum, dass da ein falscher Oberst unterwegs ist.
Ich hatte E.M. zufällig gefunden, über einen anderen ukrainischen Streamer, der den ruzzkis im Chatroulette vorspielt, Offizier der Legion Freies Russland zu sein und aus der „Volksrepublik Belgorod“ zu sprechen. Er ist ebenfalls eine faszinierende Erscheinung, aber er spielt die Rolle nicht so konsequent wie E.M. und m.E. auch nicht so glaubwürdig, er wirkt zu aristokratisch und intellektuell.
Es bleibt dabei: Man kann im Chatroulette sehr gut Feldforschung betreiben. Es ist wie eine virtuelle Kneipe, nur viel intimer, da die ruzzkis ja an vertrauten Orten sind, in ihren Wohnungen oder Militärbasen. Mir unbegreiflich, dass im deutschsprachigen Sprachraum offenbar niemand – soweit mir bekannt – diese Informationsquelle für öffentliche Analysen nutzt.
PS: Ich werde die Videos nicht verlinken. Ich will nicht dazu beitragen, sie unter deutschsprachigen ruzzkis bekanntzumachen, die dann ihre Leute warnen können. Und ich will anderen nicht die Recherchearbeit abnehmen. Dafür sind die Quellen zu kostbar.
Falls jemand weiß wer E.M. ist – bitte nicht hier verlinken !!! An gute Freunde vergebe ich die Adressen per PN.
Im Kommentar ein Link zu einem meiner Artikel über das erstaunliche Phänomen Chatroulette:
https://www.n-tv.de/politik/Bald-wird-die-Ukraine-sowieso-uns-gehoeren-article24433192.html
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