Sinnlose Suche nach dem einen entscheidenden Grund. Wissenslücken und Denkblockaden.
Poltawa, 27.01.2025
Jeden Tag das gleiche Trauerspiel. Jedes Mal wird mir übel, wenn ich lese, ruzzland führe aus diesem oder jenem Grund Krieg. Weil es angeblich seine Sicherheit bedroht sieht, ODER weil es unter „postimperialen Phantomschmerzen“ leide und deshalb eine revanchistische Macht sei (Herfried Münkler); ODER weil der Krieg nur ein Kampf über-ehrgeiziger Männer sei, keinesfalls einer um Ressourcen (Michael Thumann), ODER aus einer „internen pseudo-religiösen Ideologie“ heraus (Matthäus Wehowski heute bei X).
Nee, Kinder, so einfach ist es nicht. Ihr stochert leider im Nebel mit eurer Suche nach dem einen entscheidenden Grund. Offenbar fällt es westlich geschulten Verstandesmenschen (Vernunft-Aposteln) schwer, viele einander bedingende ideelle UND materielle Gründe gleichzeitig analytisch zu erfassen, darunter zynische, aber auch brutal-faktische. Aber „hartes“ Fachwissen, wie wirtschaftswissenschaftliches, ist unter Geistes- und Osteuropawissenschaftlern selten; Ausnahmen (Andreas Umland) bestätigen die Regel.
Und das gilt auch für auf Erfahrung basierende Beobachtungen, sei es im Bergbau, in der Landwirtschaft oder in der kriminellen Welt (Stichwort Korruption). Deshalb konnte man bis 2022 unzählige Reportagen über die angebliche Gespaltenheit der ukrainischen Nation lesen, über den angeblichen Spracheinkonflikt; aber fast keine über brutale soziale oder ökonomische Gegebenheiten, von denen fast alle Ukrainer betroffen waren. Für letztere muss man nämlich Langzeitstudien erstellen und sich Fachwissen aneignen …
Außerdem muss man auch „um die Ecke“ denken können, dialektisch, hätte man in vor-postmodernen Zeiten gesagt, d.h. in Widersprüchen und amoralisch. Kleines Beispiel: ruzzland fühlt sich nicht nur vom Westen erniedrigt, sondern es ist auch objektiv gesehen in einer erniedrigenden Position gegenüber dem Westen u.a entwickelten Nationen, wenn auch in einer selbstverschuldeten. (In Deutschland müsste man das eigentlich sehr gut verstanden: Die alte BRD hat der DDR nicht gedroht, schon gar nicht militärisch, war aber doch eine existenzgefährdende Bedrohung für Hegels Schmalland.) Deshalb ist es völlig zwecklos, Vertreter ruzzlands davon überzeugen zu wollen, dass der Westen keine Bedrohung für ruzzland darstelle. Er will keine Bedrohung darstellen, aber er tut es – aufgrund seiner Attraktivität, seiner wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Erfolge, seiner Vielzahl an Handlungsmöglichkeiten. Das gleiche gilt für eine friedliche Entwicklung in einer souveränen Ukraine. Sie bedroht ruzzland nicht aktiv, aber objektiv gesehen doch durch ihr leuchtendes, fröhliches Beispiel.
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