Deutscher Stammtisch
Poltawa, 25.02.2025
Wahrscheinlich typisch deutsches Grölen am Stammtisch, von dem mir ein Freund aus München berichtet.
„Ich sprach hier übrigens kürzlich mit einem sehr altgedienten CSUler, der da meinte: Krieg einfrieren, sofort – und beide Seiten erzählen sich dann das Märchen von einer tapferen Erfolgsgeschichte – alles andere wäre zu deprimierend – fertig ist die Laube.»
Die teuflisch stumpfsinnige Äußerung suggeriert, dass beide Kriegsparteien in gleicher Weise schuldig wären. Nach dem Motto, „da streiten sich zwei“. Eigentlich sollte sich inzwischen bis München herumgesprochen haben, dass die einen Staatsterroristen sind, die ihre Mordlust ausleben, die anderen aber friedliche Zivilisten, die nicht massakriert werden wollen.
Und wer, bitteschön, soll der Weltpolizist sein und den „Krieg einfrieren“? Der „altgediente CSUler“ / bierselige Bayer? Die bayrische Märchen-Jury? Die „Streithähne“ sollen mir gehorchen, damit ich nicht traurig bin?
Stammtisch, wie gesagt. Dumpfe Gefühle entscheiden über Leben und Tod / über Prozente bei Wahlen / über Waffenlieferungen.
Übrigens erstaunlich: Selbst jetzt während des Krieges gilt in der Ukraine noch nicht einmal die allgemeine Wehrpflicht. Deshalb fragt Swjatoslaw Palamar, Stellvertretender Kommandeur der Asow-Brigade: „Haben sich unsere Gesetzgeber jemals gefragt, warum unser Feind die Wehrpflicht nicht abgeschafft hat? Und warum dienen in Israel alle Frauen und Männer ab 18 Jahren?»
Die Redakteurin vom Hessischen Rundfunk war letzte Woche ziemlich verblüfft, als ich ihr im Interview sagte, dass sich die Ukraine statistisch gesehen noch 40 Jahre lang verteidigen könnte, dass es dafür genug Männer gibt. „Man hört doch immer, dass an der Front Männer fehlen.“ Ja, an der Front, weil die Mobilisierung eben immer noch sehr liberal-demokratisch abläuft, im historischen Vergleich. Und weil den meisten Journalisten eine soziologische Grundausbildung fehlt verbreiten sie Märchen und Mythen, „gefühlte Wahrheiten“.
Nun gut, ich kann leicht daherreden, ich muss nicht dienen.
Aber nach wie vor will es mir nicht in den Kopf, warum keine Privatautos konfisziert werden, damit die Frontkämpfer genug haben, und nicht wir Volontäre mühsam welche besorgen müssen. Aber selbst mein zu Radikalität neigender Nationalisten-Freund „Pupsik“ sah mich empört an, als ich das Thema ansprach. „Wir sind doch keine Bolschewiki“, sagte er. Mein Mitfahrer Oleg meinte gestern zum Thema: „Das wäre nicht demokratisch.“
Wie viel Demokratie und Freiheit kann sich eine Gesellschaft während des Krieges leisten?
Schweres Thema. Ich bin nur Chronist, muss nichts entscheiden. Slava bogu.
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