Viktoria Roschina, Versagen der Intellektuellen, Täter-Opfer-Umkehr, neue Arbeitsthese zur Funktion von Wahrheiten und Erkenntnissen

Poltawa, 04.03.2025
Vier Stunden am Schreibtisch, neue Analysen von Timothy Snyder und Anne Applebaum gelesen,
außerdem meine Korrespondenz mit der von den ruzzen gefolterten und ermordeten Viktoria Roschina, anlässlich der Übersetzung und Veröffentlichung ihrer Reportage „Die Toten haben mich besucht“ – für die ich mich im Mai 2021 (!) als Redakteur bei „Ukraine verstehen“ eingesetzt hatte. Die Reportage handelte von „Kriegs­ve­te­ra­nen mit post­trau­ma­ti­schen Belas­tungs­stö­run­gen (PTSB) Was der ukrai­ni­sche Staat für sie tut. Über die psy­chi­sche Gesund­heit von Kriegs­dienst­leis­ten­den.“
Nochmals: Im Mai 2021.

Ein Jahr später behauptete der Büchnerpreisträger D.G. in der Süddeutschen Zeitung: „Am 24. Februar 2022 geschah das Undenkbare: Die Streitkräfte der Russländischen Föderation, im Westen kurz Russland genannt, marschieren in ein souveränes Nachbarland ein, die Ukraine.“ Und: „Dieser Krieg wird von einem einzigen Mann geführt, dem einzigen, der weiß, warum er ihn führt – zum Erhalt seiner Macht: Wladimir Putin“.
Das angeblich „Undenkbare“ war da für uns schon acht Jahre lang Alltag. Und für Syrier und Georgier ebenfalls. So viel zum Thema westliche „Wissensgesellschaft“ und das Versagen der Intellektuellen.

Ein besseres Beispiel bietet da Timothy Snyder, wie immer hellsichtig und mit klarem Kompass:
„Die Russen begehen weiterhin jeden Tag Kriegsverbrechen. Gestern griff Russland Krankenhäuser in Charkiw an. Die Russen haben lediglich gesagt, sie würden mit den Amerikanern sprechen, was nicht dasselbe ist wie die Zustimmung zur Teilnahme an einem Friedensprozess. Aus russischer Sicht ist ein Waffenstillstand eine Gelegenheit, die externe Unterstützung für die Ukraine einzustellen und die ukrainische Armee zu demobilisieren, um den nächsten Angriff vorzubereiten. Selbst wenn dies aus den russischen Erklärungen und Handlungen nicht klar hervorginge, könnte kein (!!!) verantwortungsbewusster ukrainischer Politiker die amerikanische Prämisse, dass ein Waffenstillstand allein ausreicht, einfach akzeptieren oder den Amerikanern einfach glauben, dass danach alles gut werde. … Es ergibt keinen Sinn, von dem angegriffenen Land zu verlangen, dass es seine Verteidigung einstellt, und so zu tun, als würde dies allein schon Frieden bringen.“

Dann Vortrag und Interview mit Oberst Reisner gesehen, inspirierend und sachkundig, von einzelnen, auch groben Fehlern abgesehen.
Oberst Reisner: „Das Dilemma ist, dass Russland die Militärkarte wieder gezogen hat. Und das war für uns ein absoluter Schock. Niemand hat damit gerechnet (???), dass mit dieser Urgewalt ein Staat einen anderen Staat angreift. Und alle, die sagen, sie haben es kommen gesehen, das glaube ich nicht, denn niemand hätte das in dieser Form wirklich bewusst für möglich gehalten.“
01.05.2024
Aber die ruzzen haben diesen Krieg doch jahrelang täglich stundenlang öffentlich angekündigt in ihrem Staatsfernsehen, hat denn kein Westler zugesehen außer mir? (Mein Sohn wunderte sich damals, dass ich mehrmals in der Woche solche Schrei-Sendungen sehe.)

Im Interview vor drei Tagen nur eine seltsame Reisner-Aussage: „die kritische Infrastruktur der Ukraine ist zu 80 zerstört oder beschädigt“.
Das begreife ich überhaupt nicht. Die Züge fahren wie immer alle pünktlich, der öffentliche Nahverkehr funktioniert wunderbar, es gibt keine Versorgungsmängel an Produkten (jedenfalls sind mir keine bekannt), Krankenhäuser, Apotheken, Banken arbeiten ganz normal, die Bildungseinrichtungen nur bei Luftalarm „eingeschränkt“, d.h. unterirdisch.
Kritische Infrastruktur, das sind laut Definition der EU: „Anlagen, Systeme oder ein Teil davon, die von wesentlicher Bedeutung für die Aufrechterhaltung wichtiger gesellschaftlicher Funktionen, der Gesundheit, der Sicherheit und des wirtschaftlichen oder sozialen Wohlergehens der Bevölkerung sind und deren Störung oder Zerstörung erhebliche Auswirkungen hätte, da ihre Funktionen nicht aufrechterhalten werden könnten.“
Ich wüsste nicht, was nicht funktioniert. Was übersehe ich?

Richtig und wichtig, gleichzeitig banal: „Hätten wir (in Europa) die industrielle Kapazität, den Ausfall der Lieferungen aus den USA zu kompensieren?“
Oberst Reisner: „Wir hätten das industrielle, das ökonomische und das rüstungstechnologische Potential, aber es ist die Frage, ob der politische Wille dazu da ist (es zu nutzen).“

Als Quintessenz der morgendlichen Studien neue Arbeitsthese formuliert zur Funktion von Wahrheiten und Erkenntnissen in den drei mir gut bekannten Gesellschaftstypen: Für Ukrainer wäre es lebensgefährlich, sich selbst zu belügen; für Russen ist das lebensnotwendig, die Wahrheit ist der Feind; für viele Westler war es bisher ein selbstverliebtes postmodernes Vergnügen, an den schönen Schein und Floskeln zu glauben, mit Illusionen zu kopulieren.

Ebenfalls wichtig: Die USA unter DT wollen die Ukrainer faktisch zur Kapitulation zwingen, weil sie selbst gegenüber ruzzland kapitulieren / den verbrecherischen Forderungen ruzzlands freundschaftlich zustimmen.
Nicht zu unterschätzen: Verhandlungen, Waffenstillstands- und Friedenspläne werden oft auch geführt um zu zeigen, dass sie ergebnislos bleiben werden / nicht funktionieren. Das wäre jedenfalls die einzige Entschuldigung für die blauäugigen Scheindiskussionen im Westen über westliche „Friedens“truppen in der Ukraine oder „die Ukraine in eine Position der Stärke bringen, um putin zu Verhandlungen zu zwingen“.

Kein Luftalarm, Pause, Schach spielen.
Mist, getäuscht, jetzt doch Luftalarm.

Themen: Russland - Ukraine

Kommentare geschlossen.

  • Honigdachs-Galerie

  • Themen