Kriegsgründe

Poltawa, 01.04.2025
Bei Facebook schreibt ein an sich kluger Geist, die „Hauptursache“ des Krieges sei ein „Sicherheitsdilemma“. Im Schach würde jemand, der in einer durchschnittlich komplizierten Situation nur eine Hauptvariante erkennt, nicht einmal in der Kreisklasse mithalten können. So antworte ich dem Mann:
Unter den zehn wichtigsten Hauptursachen des Krieges dürfte ein militärisches „Sicherheitsdilemma“ an letzter Stelle stehen. Die für Russlands Existenz als Zentralstaat und Kolonialreich schlimmste Gefährdung dürften knallharte ökonomische Gründe sein, die man im Westen aufgrund enormer Wissenslücken beständig übersieht, so bspw. die Folgen des Green Deal zwischen der EU und der Ukraine, womit Russlands wichtigstes Geschäftsmodell, der Verkauf fossiler Brennstoffe und Energieträger, in absehbarer Zeit nicht mehr aufrechtzuerhalten wäre. Außerdem war die Ukraine für Russlands kriminelles Kapital eine ideale Geldwaschmaschine. Je besser die Ukraine in die EU-Wirtschaften und Rechtspraktiken integriert wird, desto schlimmer für Russland. Will man die Kriegsgründe verstehen, so sollte man zunächst Russlands ökonomische Kosten-Nutzen-Rechnung studieren – und bspw. den Wert der Kriegsbeute abschätzen, die Russland mit einem Sieg zu gewinnen hofft, worin eingeschlossen sind: Bodenschätze, Rohstoffe, Wasser für die Krim, Anbauflächen für Getreide, Häfen, Fabriken, Immobilien, Arbeitskräfte.
Eigentlich sollte man in Deutschland den Unterschied zwischen Drohungen und Bedrohungen sehr gut verstehen, nämlich aus der Zeit des Kalten Krieges. Die alte BRD hat der DDR kaum gedroht, schon gar nicht mit militärischen Mitteln, dennoch war sie die schlimmste Bedrohung für die Existenz der DDR – aufgrund ihrer wirtschaftlichen Attraktivität, ihrer Innovationsfreudigkeit, ihrer Freiheiten in Kultur, Sport und Kunst. Dies gilt auch für den heutigen Krieg – die Ukrainer „drohten“ zuletzt sogar materiell besser zu leben als die Russen; eine schwerere Kränkung ist für die selbsternannten ewigen Sieger kaum denkbar. Putin-Russland fühlt sich vom Westen erniedrigt, weil es sich objektiv gesehen in einer erniedrigenden Position gegenüber dem Westen u.a entwickelten Nationen befindet. Es kann im friedlichen Wettbewerb mit anderen Ländern nicht mithalten, deshalb will es mit Mitteln der Gewalt die Entwicklung im „nahen Ausland“ be- bzw. verhindern. Es kann im Krieg mehr gewinnen als es im Frieden verlieren würde. Russlands Sicherheit wurde vom Westen stärker durch Softpower, Popkultur und Heiratstourismus bedroht als von westlichen Armeen, die sowieso nie die Absicht hatten Russland anzugreifen.

Themen: Russland - Ukraine

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