Die Ansprüche wachsen
Diktat, Montag, 05.06.2007, Lviv – Velyki Birky, 157 km (1300).
„Herrlich, ich lebe! Ich brauche die idiotische Schreiberei nicht! Fahrrad- fahren ist das einzig Wahre! Wenn ich die Hände frei hätte, würde ich mir die Fäuste gegen die Stirn schlagen aus der Einsicht heraus, bis vor wenigen Tagen ein gänzlich falsches Leben geführt zu haben. Geahnt habe ich’s zwar schon lange, aber dass mich diese Erkenntnis so stark trifft, oh weh, oh weh.
Immerhin kann ich laut schimpfen, es hört mich ja niemand auf der Landstraße vor Ternopil.
T., dieser weise Mensch, hat mir vor der Abreise einen Ratschlag geschenkt. Die meisten Einfälle sind doch konventioneller Natur! meinte er. Wahrscheinlich versteht niemand, weshalb diese scheinbar so harmlose Formulierung mir seelisch hilft, als käme sie von einem Therapeuten. Sie ist die Erlaubnis, so dumm zu sein wie ich bin. Die niederen Instinkte brauchen nicht wie Bonsai-Wurzeln beschnitten werden!
Ich werde zunächst alle einigermaßen interessanten Bushaltestellen fotografieren, nicht nur die mit den Mosaiken. Sortieren kann ich später noch. (Vorsicht, Linné!)
Schreiben ist nicht verlängerte Pubertät, wie Goethe meinte, sondern edelmütiger Masochismus angesichts der schlechten Bezahlung, der verblendeten literarischen Öffentlichkeit, der Kultur des Wegsehens usw. usf.
Furchtbar, wie rasch ich zum Kitschbruder werde, wenn ich nicht regelmäßig etwas streng Formuliertes lese!“
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