Literatur

Prosa, „Zeit der Pfiffe“ (Leseprobe, Kindheit im Sozialismus, 1976, DDR, Harz, deutsch-deutsches Grenzgebiet)

1. Kapitel Die Mitglieder meiner Familie mussten arbeiten oder sich in der Schule quälen lassen, aber ich konnte im Bett liegen und meine Grippe ausschwitzen. Niemand durfte mein Zimmer ohne meine Genehmigung betreten. Das Gerede der Mitglieder meiner Familie nervte mich meistens sowieso. Entweder sie redeten über Ordnung und Sauberkeit oder über den Mangel. Lange Zeit glaubte ich, der Mangel hätte etwas mit Wäsche mangeln zu tun. Meine komische Mutter fuhr unsere Wäsche alle zwei Wochen zum Mangeln. Und der Alte erzählte oft, „der Mangel wird immer schlimmer,“ „es mangelt an allem“ „die kriegen den Mangel nie in den Griff“. Die, das waren die da oben, die uns regierten. Die kriegten nichts in den Griff, aber vor allem den Mangel nicht. Aber warum sollte die Regierung, die wir nie gesehen hatten, unsere Wäsche mangeln? Warum mangelte es an fast allem, obwohl die Wäsche weiterhin gemangelt wurde?
Inzwischen verstand ich natürlich den Unterschied zwischen dem Mangeln der Wäsche und dem Mangel im Allgemeinen, der überall herrschte. Über diesen Mangel hatte ich in der Schule einen Aufsatz geschrieben, als wir ein Thema ausnahmsweise man selber wählen durften.
„Der Mangel besteht, wenn die Regierung glaubt, dass sie alles wissen und bestimmen kann. Die Regierung bildet sich ein, sie kenne sogar die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen vom nächsten Jahr. Sie schreibt einen verbindlichen Plan, was getan werden muss, um diese Wünsche zu erfüllen. Und so muss dann im ganzen Land gearbeitet werden, alle auf Kommando, sowohl in der Stecknadel- als auch in der Schokoladenfabrik. Nächstes Jahr wollen zehntausend Paare heiraten, die kaufen voraussichtlich achttausend Hochzeitskleider. Manche nähen sich selbst welche oder tragen nur schmucke Kleider, die sie später auch für andere Feiern verwenden können. Wenn aber doppelt so viele Paare sich verlieben und schnell heiraten wollen, etwa, um eine Wohnung zugewiesen zu bekommen, dann herrscht wieder Mangel. Dann heißt es wieder, es mangelt an allem, sogar an Hochzeitskleidern, der Staat kriegt nichts in den Griff.
Aber nicht alle Menschen wollen ihre Wünsche der Regierung verraten. Viele kennen ihre Wünsche vom nächsten Jahr noch gar nicht. Jemand möchte beispielsweise ein neues Hobby ausüben, zum Beispiel das Angeln, weil er im Urlaub jemanden angeln gesehen hatte. Beim Angeln steht wenigstens seine zu Hause ständig kreischende Frau nicht hinter ihm. Er will eine Angelrute, Angelsehnen und Angelsehnenrollen kaufen, aber das konnte er nicht, weil die Regierung nicht geplant hatte, dass er angeln möchte. Kurz gesagt, sogar, wenn die Regierung die besten Absichten hatte, konnte sie nicht alles wissen, und schon gar nicht über die Zukunft.“
Danach musste ich in der Schule wieder mal beim Direktor antanzen. Ich bilde mir wohl ein schlauer zu sein als die Regierung, brüllte der Direktor. Dabei hätte ich wohl übersehen, dass nicht die Regierung das wichtigste Machtorgan im Lande ist, sondern die Partei, und die Partei hat immer recht, weil sie eine Million Mitglieder hat, die alle frei und offen ihre Bedürfnisse anmelden können. Außerdem vermutete der Direktor, ich wolle den Kapitalismus bei uns einführen, wo jeder das produzieren kann, was er will.
Ich antwortete dem Direktor nicht, mit keiner einzigen Silbe. Ich bildete mir einfach ein, ein Buddha zu sein oder eine Figur von der Osterinsel. Wenn man Schreihälse nur anlächelte, dann konnten die platzen vor Wut. Der Direktor bekam sogar ein gelbes Gesicht vom Schreien. Da kündigte sich vielleicht schon der Herzinfarkt an, der ihn bald darauf dahinraffen sollte. Geschieht ihm recht, warum war er so oft besoffen. Uns hielt er Moralpredigten, aber er hatte ständig eine Fahne vor sich her getragen, eine Fahne zum Anzünden, dann hätte er Feuer gespien, wie mein Kater Jack. Aber Jack war kein Alkoholiker und hielt auch keine dummen sozialistischen Predigten. „Du wirst mal in der Gosse landen!“, schrie der Direktor mich an. „Du bildest dir wohl ein, klüger zu sein als alle anderen?“
Man sah ihm an, dass er eine Zigarette rauchen wollte, so zitterten seine Hände. Er rauchte in jeder Pause ein paar Zigaretten, zusammen mit dem Staatsbürgerkundelehrer. Die Hundertprozentigen lebten am Ungesündesten.
An dem Worte Staatsbürgerkunde gefiel mir nur das Worte Kunde. Ich wäre gern ein Kunde gewesen, der sich hätte aussuchen können, was er lernen wollte. Stattdessen musste ich mir das Gesülze des Stabü-Lehrers anhören. „Bei uns gibt es keine Ausbeutung“, behauptete der. Aber das war ja lächerlich. Soldaten wurden ausgebeutet. Ich sah sie oft über unsere Wiesen robben und fluchen, dabei wollten sie am liebsten nach Hause, wie sie am Tag ihrer Entlassung grölten, wenn sie durch unser Dorf gefahren wurden. Ordentlich bezahlt wurden sie für die Zwangsarbeiten auch nicht, die sie an der Grenze leisten mussten, für das Verlegen von Betonplatten, das Aufstellen von Stacheldrahtzäunen mit Signaldraht. Und Schmerzensgeld bekamen sie auch nicht, dafür, dass man sie anbrüllen durfte und ihnen sinnlose Befehle erteilen durfte. Befehl ist Befehl, sonst ab ins Strafbataillon, zack, zack, nach Schwedt, Baumstämme schleppen, durch Matsch und Schlamm. Und die gesamte Zeit mussten sie nachdienen, die sie da verbrachten. Aber an die Grenze wurden sie dann nicht mehr versetzt. In Schwedt war es bestimmt mindestens so schlimm wie im französischen Bagno, wie von Victor Hugo beschrieben, wo die Sträflinge ausgepeitscht wurden.
Und nicht nur Soldaten, auch ich wurde ausgebeutet! Bei zehn Grad Frost im Freien Beton mischen zu müssen und in Eimern im Laufschritt tragen zu müssen, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, was war das denn sonst als Ausbeutung? Oder in der Sommerhitze Teer über den Feuer kochen, dann heiß auf eine Wand auftragen? Der Staat hatte mich nicht zu dieser Arbeit verurteilt, aber mein Erzeuger, und den kontrollierte niemand, jedenfalls nicht Zuhause. Aber der Staat hatte ihm den Titel Sozialistischer Pädagoge verliehen.
Und meine Tante Hannah musste sich selbst ausbeuten. Obwohl sie so sogar nachts und an Wochenenden arbeitete, reichte ihr Geld hinten und vorne nicht. Und Kränze flechten war harte Arbeit, bei der die Hände oft bluteten, weil die Drähte so scharf waren.
Nur meine komische Mutter fühlte sich nicht ausgebeutet. Sie arbeitete für die Gewerkschaft und hatte Privilegien. Manche Urlauber brachten ihr Geschenke mit, damit sie besonders schöne Zimmer bekamen. Ein Paar aus Berlin schenkte ihr jedes Jahr ein schönes Portemonnaie, die man in unserem Kaff nicht kaufen konnte. Dafür werden wir mit Gurken besser versorgt als die Menschen in Berlin, darüber staunten die Urlauber-Freunde meiner Mutter. Man konnte bei uns Gurken gegen Kohlen tauschen, glaube ich. Oder umgekehrt. Alle tauschen irgendetwas, weil der Mangel überall herrschte.

In seiner letzten Stunde, die der Direktor vor seinem Tod bei uns unterrichtete, provozierte ich ihn mal wieder. Er warnte uns davor, zu versuchen über die Grenze abzuhauen, nicht mal in Gedanken sollten wir das wagen. Denn man liebt dort drüben nur den Verrat, nicht aber den Verräter, sagte er.
Da fragte ich ihn, wer denn der Löwe sei. Er guckte mich blöd an. Der Löwe von Äsop, half ich ihm. Doch der Trottel kannte diese Fabel offenbar gar nicht und wusste gar nicht, wo der Satz herstammte. Ich klärte ihn auf. Nachhilfeunterricht für den Direktor. Ein Esel und ein Fuchs leben freundschaftlich zusammen. Aber als ein Löwe kommt, da hetzt der Fuchs den Löwen auf, er soll den Esel fressen. Der Löwe frisst aber den Fuchs zuerst, weil er Verrat nicht leiden kann. Man liebt nur den Verrat, nicht aber den Verräter, das ist die Lehre der Geschichte. Also, wer sollte der Löwe sein, wenn jemand über die Grenze abhaute, wer würde ihn „drüben“ fressen? Der Kapitalismus? Aber der müsste ja dann alle Leute dort drüben fressen, nicht nur die Verräter. Aber wenn unser Onkel von drüben uns mit seiner Familie besuchte, dann sahen und hörten wir ja, dass sie dort viel besser lebten als wir. Sie hatten einen VW-Kleinbus und im nächsten Jahr einen Mercedes, wir hatten überhaupt kein Auto. Sie fuhren nach Italien in Urlaub, wir zu meiner Oma nach Werder an der Havel. Und sowieso, wenn man hier mit niemandem befreundet war, war man dann auch ein Verräter, wenn man über die Grenze abhaute? Man konnte doch nur Freunde verraten, nicht irgendwelche unbekannten Leute, mit denen man zufällig im gleichen Dorf lebte oder in der gleichen Familie?
Der Direktor brüllte mich nicht sofort an. Es geht ums Prinzip, sagte er, nicht um Äsop und seine Zeit. Äsop hätte nur ein Beispiel beschrieben. Ich ließ ihn gar nicht weiterreden, sondern wies ihn in ruhigem Ton darauf hin, dass laut Äsop nicht nur der Verräter gefressen wird, sondern auch der verratene Esel. Der Löwe sorgte für Gerechtigkeit, indem er den Verräter und den Unschuldigen tötete. Und das sollte auch für die heutige Zeit gelten?
Der Direktor brüllte daraufhin, ich solle endlich still sein. „Solche wie dich müsste man im KZ Buchenwald über den Appellplatz führen, dann wirst du sehen, dass du Blut an den Schuhen hast.“
Ich verstand zwar den Sinn dieses Satzes nicht vollständig, aber vielleicht hatte der Direktor schon zu wenig Sauerstoff im Gehirn gehabt und redete halb im Koma. Friede seiner Asche.

Über meinem Bett hingen meine selbst gemalten Flaggen, der Union Jack neben der Piratenfahne. Wenn ein Lehrer aus meiner Schule das gesehen hätte, dann wäre ich bestimmt in eine Sonderschule versetzt worden oder gleich an schlimmere Orte, wo den Kindern die Köpfe kahl geschoren werden und wo sie an Heizungsrohre gekettet werden, damit man sie in Ruhe verprügeln kann.

Denken als Beruf (2)


Poltawa, 30.08.2025
Wahrscheinlich der populärste Denkfehler: Am Entweder-Oder sich festzuklammern, wo nur ein Sowohl-als-Auch helfen könnte. Helfen im Sinne von: neue Perspektiven öffnen, sich „der Wahrheit“ und dem Wesen einer Sache nähern, sie vielleicht sogar in ihrer Gänze zu erfassen.
Dieser Fehler ist deshalb so populär, weil man im Alltag / in den allermeisten Entscheidungen (!) das Entweder-Oder benutzen muss, um zu überleben, zu essen, zu schlafen etc. Gut oder schlecht, heiß oder kalt, Liebe oder Hass, Feind oder Freund. Soll ich essen oder nicht, werde ich jetzt die vielbefahrene Straße überqueren oder erst, wenn die Ampel Grün zeigt? Der bekanntlich ziemlich dumpfe Verstand arbeitet wie ein Blindenhund.

Der Verstand / das Entweder-Oder-Denken genügt aber nicht, um unendlich komplexe Materie wie etwa eine Gesellschaft / einen Krieg analytisch durchdringen zu können. Den meisten Menschen ist das vermutlich nicht ständig bewusst, vielleicht gar nicht bekannt. Sie nutzen ihre Denkerfahrungen aus dem Alltag / ihrem sinnlich wahrnehmbaren Leben, als ob sie, nur bewaffnet mit einem Tomatenmesser, gegen ein wütendes Nashorn kämpfen wollten.

Dabei riet doch schon Franz Kafka: Im Kampf zwischen dir und der Welt sekundiere der Letzteren. Übersetzt: Urteile unabhängig von deinen Interessen und Wünschen, benutze deinen Verstand, als ob es nicht dein eigener wäre. Beobachte dich beim Denken, beobachte, dass du dich beim Denken beobachtest, versuche zu beobachten, dass du, dich beobachtend, zu denken versuchst. (Wie Aleksander Wat in der Moskauer Lubjanka.)

Eine innovative Methode (KI: „systematisches Vorgehen, um neue Ideen zu entwickeln, Probleme zu lösen und neue, wertstiftende Lösungen zu finden, indem bestehende Ansätze überwunden oder neu kombiniert werden“) ist es beispielsweise, eben nicht nach Lösungen, sondern nach weiteren unauflösbaren Konflikten zu suchen / die Wunden – „offen wie ein Bergwerk obertags“ – aufzureißen, statt sie schließen zu wollen. Oder: Zuerst die schlechtesten Möglichkeiten prüfen, dann erst jene, die das „brillante Narrenspiel der Hoffnung“ anbietet.

Schein und Wirklichkeit – aus der Geschichte lernen, Irrtümer überprüfen:

Dass nichts so ist, wie es zu sein scheint, ist eine Banalität, die auch für das Sein gilt, wie für jedes Ding und jedes Subjekt. Säkulare Gesellschaften richten ihr Handeln jedoch nicht nach dem Sein aus, sondern nach der Wirklichkeit. Den Schein, der die Wirklichkeit umgibt und von dem sie durchtränkt ist, erkennen und fürchten säkulare Gesellschaften nicht, denn es gilt die Maxime der Machbarkeit, gar der Berechenbarkeit von Zukunft. Sie müssten die Perspektive des Teufels annehmen, um sich selbst in Beziehung zum Schein erkennen zu können; die Perspektive des transzendenten Bösen. Sie müssten sich selbst gleichgültig sein und ihren Niedergang ebenso stark lieben wie ihre Fortentwicklung. Die teuflische Perspektive widerstrebt jedoch dem Lebenstrieb, das Hohngelächter ist kein Schlaflied.
Eine gegensätzliche, theoretisch mögliche, transzendente Perspektive, die des Gottes oder der Götter, ist ebenso schwer zu handhaben, dank der Selbstverblendung säkularer Gesellschaften, die sich am Baum der Erkenntnis überfressen.

Denken als Beruf (1)

Poltawa, 29.08.2025
Meine beste Quote war: pro Gedanke (Diagnose, Prognose, Konfliktbeschreibung) bekam ich 150 Schweizer Franken. In einem zehnminütigen Vortrag mit zehn Gedanken, die vor mir noch niemand gedacht hatte, soweit mir bekannt.
ziemlich billig, wenn man bedenkt, dass ich für jeden dieser Gedanken etwa drei Tage arbeiten muss – tatsächlich ARBEITEN. Denn der Gedanke muss so genau wie möglich formuliert und geprüft werden, wozu oft stundenlange Recherchen notwendig sind.
Einem meiner bestbezahlten Gedanken widersprach seine Exzellenz, der Botschafter der Ukraine. Doch wenige Monate später zeigte leider die Praxis, dass mein Gedanke sich bewahrheitete – die ruzzen begannen tatsächlich ihren heimtückischen Überfall auf die gesamte Ukraine.
Der Botschafter widersprach im Oktober 2021 dieser Möglichkeit, nachdem ein Geschäftsmann von mir wissen wollte, ob ich Investitionen in der Ukraine empfehlen könne.
„Westlich des Dnipro können Sie investieren, östlich des Dnipro besser nicht, weil das Risiko zu groß ist, dass in diesen Gebieten gekämpft werden wird.“
Nun, der Botschafter hätte vielleicht seinen Job verloren, wenn er meiner Einschätzung öffentlich zugestimmt hätte, schließlich gehörte es zu seinen Aufgaben, Investoren in die Ukraine „zu locken“. (Wie gut wurde dieser Mann und wurden ukrainische Diplomaten eigentlich mit nachrichtendienstlichen Informationen versorgt? Waren die Ukrainer auch so deppert wie die Deutschen und die meisten westlichen Dienste? Das wird in einigen Jahrzehnten ein ergiebiges Forschungsfeld sein.)

Meine Veranstaltung in Berlin am 21.7., 19 Uhr

Immanuelkirche Berlin
Prenzlauer Allee 28 in 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Krieg ohne Ende? Wie weiter in der Ukraine?
Ein (Ost-)Deutscher berichtet aus Poltawa, Zentral-Ukraine.
Mit Christoph Brumme — www.honigdachs.com Schriftsteller, Essayist, Journalist.

Christoph Brumme wurde 1962 in Wernigerode geboren und lebt seit Frühjahr 2016 in der zentralukrainischen Stadt Poltawa.
Ab 2007 war er per Fahrrad zwischen Berlin und der Wolga unterwegs. Er erlebte die Maidan-Revolution der Würde 2014, die anschließende erste Aggression Russlands gegen die Ukraine sowie die russischen Voll-Invasion im Februar 2022 aus nächster Nähe. Und entschied sich zu bleiben.
In seinem Buch „111 Gründe die Ukraine zu lieben“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2019) erklärt er, warum seine Wahlheimat das schönste Land der Welt ist. Der Band „Im Schatten des Krieges“ (Hirzel, 2022) enthält Tagebuch-Aufzeichnungen zwischen Januar und Mai 2022.
Christoph Brumme absolvierte zu DDR-Zeiten eine Lehre als Eisenbahner, arbeitete am Theater Eisleben, studierte Philosophie und lebte ab 1985 als freiberuflicher Schriftsteller und Essayist vorwiegend in Berlin. Damals wohnte er in Prenzlauer Berg, gegenüber der Immanuelkirche, in der er nun von seinen Erfahrungen berichtet.
In einem Impulsvortrag wird er seine Eindrücke und Analysen über die Ukraine und die russische Aggression gegen das Land darlegen. Es geht um die Fragen: Wie und warum gelingt es den Menschen in der Ukraine, dem Großangriff eines über mächtig erscheinenden Gegners seit fast dreieinhalb Jahren standzuhalten? Was sind die Gründe für den Krieg? Welche Perspektiven gibt es für sein Ende?

Anschließend stellt sich Christoph Brumme den Fragen des Publikums.

Eine Veranstaltung der Evangelischen Immanuelkirchgemeinde und dem „Partnerschaftsverein Berlin Pankow – Riwne e.V.“

Eintritt frei, Spenden sind herzlich erbeten.

Krieg im Traum

Ein zerschossenes Haus irgendwo in Deutschland, nur die Wände der unteren Etage stehen noch. Zusammen mit mir haben acht Menschen überlebt; was ich weiß ohne sie gezählt zu haben. Alle wuseln umher, suchen etwas, räumen auf, nur ich sitze am Tisch.
„Wir sollten alles Wichtige aufschreiben“, sage ich zu einer Frau an der Küchenspüle. „Wer hat noch Verbindungen in andere Städte, nach Hamburg oder Köln? Wer kann Auto fahren, wer kann Erster Hilfe leisten? Wir brauchen Bindemittel (ich meine Tourniquets)! Wo treffen wir uns, wenn auch dieses Haus hier zerstört wird?“ (Dabei ist es ja schon zerstört.)
„Du kennst dich aber gut mit solchen Situationen aus“, sagt der Autor St.D. (der kürzlich ein Buch darüber veröffentlicht hat, wie Deutschland ruzzlands Krieg finanziert). Er steht neben der Frau an der Küchenspüle und schneidet Tomaten mit einem Messer mit einer gezackten Klinge. Typisch Westler, denke ich, die haben scharfe Messer. (Dabei ist er gar kein Westler, aber im echten Leben solch ein Gentleman mit feinen Manieren, dass ich im vorigen Jahr dachte er sei ein Westler, nicht solch ein selbstgenügsamer Waldmensch wie ich.)

Ich wache auf, weil die Sirenen heulen.
Ich will zurück in den Traum, weiß aber, dass ich das nicht schaffen werde, und entscheide mich deshalb, an erotische Erlebnisse zu denken; das ist meistens das beste Einschlafmittel (in meinem Alter).
Statt an das Schöne zu denken, kommt mir der Satz des „Unterwerfungspazifisten“ I.S. in den Sinn, „Frieden schließt man nur mit Feinden“. Mir schwirren schweinische Worte durch den Kopf, die ich hier nicht wiedergeben kann. Soll er sich mal vergewaltigen lassen und dann zum Täter sagen: Jetzt schließen wir aber Frieden. Soll er mal an der Front die zerfetzten Gliedmaße seiner Brüder umherfliegen sehen und dann wieder schreiben: „Niemand will Krieg in Europa“; wie er das in seinem „Friedensmanifest“ tat, als die ruzzen schon den Donbas besetzt hatten und im Folterlager „Isolaziya“ Männer an ihren Genitalien aufhängten und mit Stromstößen quälten.

Schließlich schlafe ich aber doch ein.

Link: Allee der Helden, Poltawa, Dezember 2024
https://zmist.pl.ua/news/imena-360-zahysnykiv-na-shhytah-u-czentri-poltavy-vidkryly-aleyu-geroyiv

Philosophie für Kinder (1)

28.01.25
Ewige Traurigkeit: Warum habe ich nur ein Leben? Ich hätte genug Ideen, Wünsche, Pläne, Aufgaben, Leidenschaften für mehrere Leben. Eines der vielen angefangenen und unvollendeten Projekte: Ein Philosophiebuch für Kinder zu schreiben.
Meines Erachtens ist komplexes Denken ja nicht besonders schwer, sobald man es als Spiel auffasst – sowohl als Kampfspiel und rhetorische Kunst wie etwa Schach, als auch als theatralisches Spektakel, um dramatische Konflikte zu veranschaulichen und die unaufhörlichen Verwandlungen des Daseins darzustellen.
Wobei natürlich klar ist, dass nicht jeder die Meisterschaft etwa des polnischen Futuristen Aleksander Wat (1900 – 1967) erreichen kann, der in einem sowjetischen Gefängnis (in der Lubjanka?) übte, sich beim Denken zu beobachten – und die Schwierigkeitsgrade steigerte, indem er zu beobachten versuchte, wie er sich beim Denken beobachtete, um dann zu versuchen, das Beobachten des Beobachtens zu beobachten – und dabei das Denken nicht zu vergessen.
Meiner Erinnerung nach schaffte er drei kontemplative „Stufen“, Heidegger hätte sie vielleicht „Kehren“ genannt – „nicht eine neue Drehung in der Bewegung der transzendentalen Reflexion, sondern die Freisetzung und Durchführung dieser Aufgabe“ (Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik 1960/2010).

Nachruf auf einen Sadisten

Poltawa, 21.06.2024
Die Welt ist ein bisschen besser geworden, sah ich gestern zufällig. Ein böser Mensch hat die Erde verlassen. Der böseste, den ich in meinem bisherigen Leben kennenlernen musste, erkennen musste. Man wusste nie, auf welches Kind er als nächstes einprügeln wird, und auch nicht immer warum. Einmal schlug er einem Mädchen die Nase blutig, weil sie ein Buch aus ihrem Ranzen gezogen hatte, dabei war ein leises Geräusch zu hören gewesen – obwohl er Ruhe befohlen hatte.

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Beim Bataillon Donbass – Wenn „Alabama“ schlafen will, kommen die Bilder

Rettungssanitäter haben in der Ukraine die höchste Rate an Verlusten – denn die Russen machen gezielt Jagd auf sie, um die Moral der Ukrainer zu untergraben. „Alabama“ fährt fast täglich an die Front, um Verletzte zu bergen.

https://www.n-tv.de/politik/Beim-Bataillon-Donbass-in-Slowjansk-Wenn-Alabama-schlafen-will-kommen-die-Bilder-article24979586.html

Notizen zum Krieg

Notizen zum Krieg (1), Слов’янськ, 22.05.2024
Schrecklich, diese rohe Sprache und dieses rohe Denken, in der manche Ausländer, die im Frieden leben, über den Krieg sprechen. „Du bist entweder Journalist oder Aktivist; als Aktivist bist du kein objektiver Journalist mehr“, schrieb mir neulich jemand.

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Mein heutiges Live-Interview für den Südwestrundfunk. Text und Audio. Ob Russland den Krieg gewinnt, wollten sie wissen.

– Sie haben uns in Interviews wieder immer geschildert, dass Sie froh sind morgens gesund und unversehrt aufzuwachen. Wie geht es Ihnen heute früh?
– Das ist heute auch der Fall. Die Nacht war ruhig, es gab keine Warnungen vor anfliegenden Raketen. Das ist insofern erstaunlich, weil es ja vor zwei, drei Tagen sehr heftig war, da war alle zwei, drei Stunden Luftalarm. Und da wird einem natürlich immer, ja, ein bisschen angst und bange. …weiterlesen »

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